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Berlin: „Antenne erden nicht vergessen!“

Heute vor 80 Jahren begann im Berliner Vox-Haus die deutsche Rundfunkgeschichte mit einer einstündigen Musiksendung

Es war am Anfang theoretisch ein ziemlich teurer Spaß. 3,5 Billionen Mark kostete die Gebühr für all jene, die legal dabei sein wollten, als am 29.Oktober 1923 der öffentliche Rundfunk in Berlin begann. Monatlich oder jährlich? Das war nahezu egal in den Zeiten der Hyperinflation, zumal es zum Sendestart keinen einzigen zahlenden Zuhörer gab.

Schwarzfunker allerdings werden reichlich dabei gewesen sein, als die erste Ansage ausgestrahlt wurde, formuliert wie ein Aufruf zur Generalmobilmachung: „Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle Berlin im Vox-Haus auf Welle 400m. Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telephonischem Wege beginnt. Die Benutzung ist genehmigungspflichtig.“

Dann packte Kapellmeister Otto Urack Cello und Bogen, der Kollege Fritz Goldschmidt richtete seinen Stuhl vor dem Flügel, und es erklang das Andantino von Fritz Kreisler. Das Studio war mit einfachsten Mitteln improvisiert worden: Die Dachkammer hatte man mit Wolldecken im Verhältnis 2:1 geteilt, im größeren Teil stand das Mikrofon vor den Musikern auf einem Stuhl, der mit zwei Adressbüchern erhöht worden war. Violettes Krepppapier an den Wänden verhinderte Schallreflexionen, die nötigen Geräte standen im kleineren Teil des Raums. Historische Momente auf historischem Boden. Denn das Studio, aus dem die Sendung kam, befand sich im Vox-Haus in der Potsdamer Straße 4 (ab 1930 wurde daraus die Hausnummer 10) – einem fünfgeschossigen Bürohaus aus den Jahren 1907/08 schräg gegenüber dem Weinhaus Huth am Potsdamer Platz. Nach verschiedenen Umbauten hatte der Vorläufer des Vox-Schallplattenkonzerns das Haus 1920 gekauft. Otto Rudolf Salvisberg baute das Gebäude später für die Vox-GmbH um und richtete im vierten Stock ein Studio ein.

Im Mai 1925 übernahm die neugegründete Reichs-Rundfunk-GmbH das Haus. Doch schon nach sechs Jahren verschwand es wieder aus der Rundfunkgeschichte: Es wurde 1929 verkauft, und die Sendeeinrichtungen zogen um. Nach dem Umbau des Erdgeschosses öffnete 1931 das Lichtspieltheater „Kino für Jedermann“. 1933 erwarb die Stadt Berlin das Haus, im Zweiten Weltkrieg wurde es von Bomben beschädigt, nach dem Krieg instand gesetzt, neu vermietet und schließlich am 22.März 1971 zugunsten des Straßenbaus gesprengt.

Die erste Sendung dauerte eine Stunde, und sie endete mit einer knappen Abmoderation: „Wir wünschen Ihnen eine gute Nacht. Vergessen Sie bitte nicht, die Antenne zu erden!"

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