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Berlin: Antiquariat: Der Duft der guten alten Bücherzeit

Heute heiratet die Enkelin, und Wolfgang Staschen kann nicht dabei sein. Das macht den alten Mann ein bisschen traurig.

Heute heiratet die Enkelin, und Wolfgang Staschen kann nicht dabei sein. Das macht den alten Mann ein bisschen traurig. "Aber jemand muss ja auf den Laden aufpassen", sagt er und weist in die Runde, als würden sich die Kunden drängeln. Doch das wohnzimmergroße Antiquariat ist leer, keiner da, der suchend die Bücherstapel umschichtet oder im matten Licht die Regale mustert. Das blecherne Glöckchen über der Eingangstür bimmelt nur selten. Irgendwann an diesem Nachmittag wird Wolfgang Staschen bei sich murmeln, dass er vielleicht doch zur Hochzeit hätte fahren sollen.

Warum seit Jahren immer weniger Leute in sein Antiquariat kommen, das kann Staschen nicht verstehen. Er hat doch alles da: Werke über Geschichte, Politik und über Berlin - seine Schwerpunkte. Reisebeschreibungen, Belletristik und Kunstbücher stehen in den Regalen, die bis unter die stockfleckige Decke reichen. Sammlerstücke sind dabei, in geprägtes Leder oder geblümte Stoffe gebunden: "Wilhelm Tell" von 1929 für 140 Mark oder der "Semigotha. Das Weimarer historisch-genealogische Taschenbuch des gesamten Adels jehudäischen Ursprungs" von 1913 für 380 Mark.

Es gibt aber auch viele neuere, ganz unterschiedliche Titel, die zwischen 10 und 40 Mark kosten: "Zivilisiert den Kapitalismus" von Marion Gräfin Dönhoff oder David Frasers Rommel-Biographie oder Ilse Bredows "Engel wohnen nebenan." "Die Leute müssten sich doch hier drängeln", meint Wolfgang Staschen und zuckt verwirrt die Achseln. Die neue Zeit versteht er nicht so recht. Früher war alles anders. Und vieles besser. Der 73-Jährige kann das beurteilen, er ist schon seit 43 Jahren im Geschäft.

Weinrunden mit Fallada und Brecht

"Früher waren die Antiquariate kulturelle Treffpunkte", erinnert sich Staschen. Kurt Bois hat er kennengelernt, und mit Ernst Rowohlt hat er gesoffen. Brigitte Grothum hat bei ihm eingekauft. Und ganz früher, noch bevor er 1958 begann, mit seinem Bücherkarren durch die Stadt zu ziehen, da gab es bei Kollegen noch abendliche Weinrunden, zu denen auch Hans Fallada und Bertolt Brecht kamen. "Heute wursteln in Berlin 130 Antiquariate vor sich hin." Kein Vergleich mit der Zeit, als es noch weniger, aber dafür große Antiquariate gab, wie den Bücherwurm in der Motzstraße. Da hatten die Gebraucht-Bücherstuben sogar noch Lehrlinge; da musste man noch eine Prüfung über alte Literatur ablegen, um Antiquar zu werden - Staschen ist beim ersten Mal durchgefallen, so schwierig war sie. Wolfgang Staschen sitzt mittlerweile im dritten Laden. Der erste war "in der Bülow 5". Den hat er 1961, nach der Bücherkarrenzeit, vom "alten Rüther" übernommen. Das zweite Antiquariat hatte Staschen "in der Bülow 11". Die Häuser haben sie hinter ihm abgerissen. Seit 18 Jahren betreibt er den Laden an der Potsdamer 138. Im Schaufenster hängt eine braune, blickdichte Gardine. Wer eintritt, dem steigt sofort ein modriger Duft in die Nase - alte Bücher.

Staschen mag diesen Geruch, seit er als Kind zum Antiquar lief, um sein Taschengeld in Lesestoff umzusetzen, 10 Pfennig pro Buch. Erich Kästners Werke hat er da gefunden, obwohl die damals schon verboten waren. Als er 16 Jahre alt wurde, war Schluss mit Schmökern. Da war erstmal Krieg. Aus einer rosa Mappe auf seinem Schreibtisch - einen Ladentisch mit Kasse besitzt er nicht - zieht Staschen ein Jugendfoto: weiches, blondes Haar fällt dem Kind-Soldaten ins Gesicht. Er lächelt.

Viele Schätze gefunden

Die rosa Mappe ist wichtig für Wolfgang Staschen. Hier drin sammelt der Antiquar, was ihn bewegt. Zum Beispiel die Kopie einer Studie, die besagt, dass nur noch jeder sechste Deutsche täglich in ein Buch schaut. Für Staschen bedeutet das den Untergang des Abendlandes - und den seines Ladens. "Eigentlich mache ich den Laden nur noch als Hobby. Wenn ich allein hier bin, lese ich", meint Staschen. Seine Frau hat schon gesagt, dass er nicht mehr so viel Neues einkaufen darf. Aber so ganz hat Staschen das nicht eingesehen. Es ist nämlich aufregend, in Kellern zu sitzen, auf einem Klapphockerchen, und Bücherberge zu sortieren.

Da hat er schon "Schätze" gefunden: die Briefe eines Pfarrers, der in Blüchers Armee mitmarschierte. Die hat jetzt das Berliner Landesarchiv. Oder die Akte über einen Rechtsstreit aus dem Jahr 1934: In einen SA-Treffpunkt in der Richardstraße hatte man hineingeschossen. Der Täter bezeugte handschriftlich, dass Walter Ulbricht ihn angestiftet hatte. Wie lange er den Laden noch machen kann - finanziell und körperlich - weiß Wolfgang Staschen nicht. Im Zeitlupentempo und mit zitternden Beinen beugt er sich nach einer Fluse auf dem braunen Velours, bevor er ein Buch ins Regal stellt. Es geht langsam. Aber hier kommt sowieso niemand her, der es eilig hat. Jeder Stapel, jedes Eckchen will ja sorgsam mit den Augen abgetastet werden. Das Leben draußen auf der Potsdamer dringt nur gedämpft herein, und wer länger bleibt, der nimmt es nicht mehr wahr.

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