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Vorfall an jüdischem Feiertag: Vorwurf des Antisemitismus: Strafanzeige gegen Taxifahrer

Eine Frau wollte mit ihrer Familie am jüdischen Versöhnungstag in die Synagoge in Charlottenburg. Ein Taxifahrer soll sich geweigert haben, sie dorthin zu fahren. Doch von der Geschichte gibt es unterschiedliche Versionen.

An Jom Kippur, dem höchsten Feiertag im Judentum, hatte sich Esther Dobrin besonders fein gemacht: In traditionellem weißen Gewand mit weißem Hut wollte sie ihrer kürzlich verstorbenen Eltern gedenken. Gemeinsam mit ihrer 11-jährigen Tochter, ihrer 19-jährigen Nichte und deren nicht-jüdischem Freund, 20, wollte sie gegen elf Uhr morgens zum Gottesdienst in die Synagoge an der Pestalozzistraße 14 in Charlottenburg. Ihr Mann rief ihr ein Taxi, doch schon auf den ersten 500 Metern kam es nach Angaben Dobrins zu einem Streit mit dem Taxifahrer, dem 53-jährigen Christian G. Esther Dobrin stieg aus, erstattete Strafanzeige gegen den Fahrer und wirft ihm Antisemitismus vor. Was genau vorgefallen ist, dazu gibt es zwei Versionen.

Dobrin gibt an, die Stimmung habe sich geändert, nachdem sie gesagt habe, sie wolle zur Synagoge. Der Fahrer habe so getan, als kenne er die Pestalozzistraße nicht. "Ich habe gesagt: Benutzen Sie doch Ihr Navigationsgerät", erzählt sie. Doch er habe es nicht benutzen wollen. Christian G. habe dann gesagt, wenn sie nicht wisse, wo sie hinwolle, könne er sie nicht fahren. "Das war unglaublich", sagt Dobrin. "Ich habe immer wieder gesagt: Ich weiß doch, wo ich hin will, in die Pestalozzistraße 14!" An der Clayallee/ Ecke Auf dem Grat hätte der Fahrer sie schließlich aus dem Fahrzeug geworfen. "Am besten ist es, sie nehmen sich einen anderen Fahrer", habe er gesagt. Esther Dobrin ist sich sicher, dass der Vorfall etwas damit zu tun habe, dass sie jüdisch ist. "Ich habe gesehen, wie er sich regelrecht vor uns geekelt hat", sagt sie. "Der wollte uns loswerden." Mit ihrem weißen Hütchen sei sie sich am Straßenrand wie ein Pudel vorgekommen.

"So einen Unsinn habe ich noch nie gehört", entgegnet Taxifahrer Christian G. Seit 31 Jahren fährt der 53-Jährige in Berlin Taxi. Er schildert den Vorfall ganz anders. Das Wort Synagoge sei erst gefallen, als Esther Dobrin längst aus dem Auto gestiegen sei, Fotos von ihm und dem Auto gemacht und ihm mit Strafanzeige gedroht habe. Die Pestalozzistraße ist lang, sagt er. "Da sind überall Sackgassen. Ich wollte nur wissen, von welcher Seite ich hineinfahren soll." Dobrin habe ihm gesagt, er solle sein Navigationsgerät benutzen. "Ich sagte: Sie wissen doch, wo Sie hin wollen, sagen Sie es mir doch einfach." Sie haben doch den Taxi-Schein, habe Dobrin gesagt - dieses Zitat zumindest bestätigen beide Seiten. Christian G. will dann gesagt haben, sie könne sich einen anderen Fahrer nehmen, wenn sie ihm nicht zutraue, sie dorthin zu fahren. Daraufhin habe die Frau eingewilligt und die Fahrt sei nach 500 Metern "in beiderseitigem Einverständnis" beendet worden. Als Dobrin ihm nach dem Aussteigen Antisemitismus vorwarf, rief Christian G. laut: "Nicht schon wieder diese Masche" - auch das bestätigen beide.

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Esther Dobrin allerdings sagt, sie habe mehrfach im Taxi laut und deutlich das Wort Synagoge genannt. Dabei habe der Fahrer ihr direkt in die Augen gesehen. "Die Kinder können das bezeugen", sagt sie. "Der Freund meiner Nichte ist nicht-jüdisch und ziemlich mitgenommen von dem Vorfall." Auch sie selbst habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Ihre 11-jährige Tochter sei so verstört, dass sie heute nicht in die Schule habe gehen können. "Sie fragt immer wieder: Mama, wieso mag uns der Mann nicht?" Ihre Tochter geht auf eine jüdische Schule, sei noch nie persönlich einen antisemitischen Vorfall miterleben müssen. "Ich bin in Charlottenburg geboren", sagt die 37-Jährige, die einen Second-Hand-Laden am Kaiserdamm führt. "Meine Großmutter hat den Holocaust überlebt. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas 2012 in Berlin noch passieren kann." Sie spricht von einem grundlegenden Antisemitismus.

Dobrin notierte das Kennzeichen des Fahrers und zeigte ihn umgehend bei der Polizei an. Die Beamten versuchen nun, in Gesprächen mit allen Beteiligten die Hintergründe aufzuklären. Das könne einige Tage dauern, sagte ein Polizeisprecher am Donnerstag. Da Christian G. jedoch nicht handgreiflich geworden sei und die Familie im Taxi nicht offen beleidigt habe, sei zweifelhaft, ob der Vorfall strafrechtlich relevant sei.

Der Fahrer könnte jedoch wegen der Verletzung der Beförderungspflicht seine Konzession verlieren. "Die Konsequenzen reichen von einem Bußgeld bis zum Verlust des P-Scheins", sagt Uwe Gawehn, Chef der Taxiinnung in Berlin. "Dann dürfte er nicht mehr Taxi fahren." Das müsse nun das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (Labo) prüfen. Da Christian G. selbstständiger Einzelunternehmer ist, könnte er auch die Zulassung für sein Unternehmen verlieren. Christian G. kann das alles nicht glauben. Das gilt auch für Esther Dobrin.

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