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Architekturdebatte (2): Berlin ist reich – an Raum

Das Unfertige ist ein Charakteristikum Berlins. Wie geht man mit diesen "Leerstellen" um? Stadtbaudirektorin Regula Lüscher skizziert in Teil zwei der Architekturserie ihre Vision des Berlin von morgen.

Berlin ist als internationale Metropole Sonderfall und Beispiel zugleich. Durch die Geschichte der Teilung „verspätet“, standen die zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer im Zeichen des Zusammenwachsens. Inzwischen hat ein Prozess der Annäherung an die Entwicklung anderer Metropolen eingesetzt. Der Druck auf Innenstadtquartiere steigt, es bildet sich ein Gefälle zwischen Kristallisationspunkten im Innern und der äußeren Stadt.

In dieser Situation habe ich eine dritte Internationale Bauausstellung in Berlin vorgeschlagen – mit starker Resonanz. Über drei Monate tagte das „IBA-Studio“ mit mehreren tausend Beteiligten aus einer interessierten Fachöffentlichkeit, die mit dem IBA-Team, mit Politik und Verwaltung über die Perspektiven einer IBA diskutierten und Vorschläge zur Weiterentwicklung machten.

Warum eine IBA Berlin 2020? Berlin mit seiner Fähigkeit, Unterschiede und Differenzen auszuhalten, verfügt über das größte urbane Potenzial in der Republik, Berlin ist der Ort, an dem sich das Städtische immer wieder neu erfindet.

"Berlin ist die Hauptstadt der Zwischennutzung"

Dies wurde bereits mit zwei Internationalen Bauausstellungen bewiesen. Mit der „Interbau 1957“ entstand das Hansaviertel, wo die architektonische Avantgarde der Nachkriegsmoderne exemplarisch den Traum von der funktionalen, durchgrünten Stadtlandschaft verwirklichte. Die IBA 1984/1987 führte mit den Begriffen „kritische Rekonstruktion“ und „behutsame Stadterneuerung“ die Bewegung gegen den Städtebau der Moderne und die „Stadtentwicklung mit der Abrissbirne“ an.

Die IBA Berlin 2020 wird keine „dritte Folge“ sein, wohl aber reflektiert sie diese Erfahrungen, wenn sie sich den gewandelten Herausforderungen zuwendet. Ein Umdenken muss einsetzen, die Stadt muss Platz für alle und alles schaffen: Für das Wohnen wie für das Arbeiten, für Kultur und Freizeit, für die Jungen wie für die Alten. Sie braucht eine gesunde Umwelt und Mobilität für alle, sie muss ressourceneffizient, aber auch wirtschaftlich erfolgreich sein. Sie will die Menschen „mitnehmen“, sie zu Akteuren machen. Diesen Ansprüchen gleichermaßen Raum zu geben erfordert, die Stadt zu mischen, den urbanen Zusammenhalt über die gesamte Stadt zu organisieren.

Mischung findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Zum einen geht es um funktionales Mischen, vor allem von Wohnen, Arbeiten, Lernen und Forschen. Arbeit zieht es wieder in die Städte. Selbst Industrie sucht sich im Gewand moderner Produktion das städtische Umfeld, den Anschluss an städtische Kommunikation, an Kultur und Politik, die Nähe zu Wissenschaft und Forschung.

Auf Seite zwei lesen Sie über die räumliche Mischung und urbane Qualität.

Das zweite Thema ist die räumliche Mischung. Berlin ist bis heute reich an Raum. Der öffentliche Raum hat eine Schlüsselstellung in der Beurteilung urbaner Qualitäten. Durch den Klimawandel erfährt er zusätzliche Bedeutung. Die energetische Ertüchtigung nicht nur einzelner Gebäude, sondern die klimagerechte Organisation des städtischen Zusammenhangs steht auf der Agenda.

Schließlich geht es um die Öffentlichkeit in der gemischten Stadt. Welche Qualitäten haben öffentliche Orte der demokratischen Stadtgesellschaft, wie funktioniert die sozial gemischte Stadt als „Motor von Integration“? Nicht jede Mischung funktioniert, nicht jede neue Nachbarschaft wird angenommen. Das Ziel der gemischten Stadt hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn eine IBA die Mischung nicht „vorsetzt“, sondern in einem Prozess auf die Probe stellt.

Um das Leitbild der „gemischten Stadt“ zu erproben, muss die IBA von der Mitte bis zu den Rändern wirken. Moderne Urbanität braucht Bilder und Strategien, die dezentrale Orte urban und attraktiv machen. Der „Ausnahmezustand“ einer IBA kann helfen, Akzeptanz für neue ungewohnte Mischungen zu erreichen. Dies beinhaltet auch, Bürgerinnen und Bürger als verantwortliche Akteure einzubeziehen und – für Politik gleichermaßen – Beteiligung mit Verantwortung zu koppeln. Gesucht werden dafür andere Finanzierungsmodelle, bei denen Nutzer zu Bauenden werden.

Die Mittel für eine Internationale Bauausstellung werden erheblich bescheidener ausfallen als in der Vergangenheit. Die IBA Berlin 2020 will daher systematisch Prozessqualität und Steuerungsmöglichkeiten für komplexe Bauaufgaben auf den Prüfstand stellen. Bauherrin wird die IBA nur in den wenigsten Fällen sein, daher bedarf es besonderer Aushandlungsprozesse mit verlässlichen und engagierten Partnern, die mit ungewöhnlichen Ansätzen zu begeistern sind.

Eine IBA ist kein Ersatz für Stadtentwicklungsplanung. Eine IBA arbeitet exemplarisch. Die IBA Berlin 2020 verfügt hierzu über drei Strategien: Hauptstadt, Raumstadt, Sofortstadt. Berlin als Hauptstadt ist das Schaufenster Deutschlands. Hier steht der Entwurf einer städtischen demokratischen Gesellschaft zur Debatte. Architektur und städtebauliche Projekte, aber auch Landschafts- und Kunstprojekte sollen modellhaft für das urbane Zusammenleben im 21. Jahrhundert stehen. Es gilt, das Bild der gemischten europäischen Stadt, einer Stadt für alle, produktiv zu kultivieren und darin Berlins Vorbildrolle einer „nicht segregierten“ Metropole zu demonstrieren.

Auf Seite drei lesen Sie über den Raum als Kapital Berlins.

Die städtebauliche Strategie Raumstadt zielt auf den Raum als beachtliches Kapital Berlins. Es gilt, diesen Raum zum Wohle aller restriktiv und klug zu bewirtschaften und genau zu überlegen, wo jetzt oder wo erst in weiter Zukunft gebaut werden soll. Wie kann durch Ergänzen und Umbauen von Abstandsflächen, Grünräumen, Dächern oder großen Innenräumen der Schlüssel für die Anpassung an den Klimawandel und ein städtebauliches Leitbild für die gemischte Stadt des 21. Jahrhunderts gefunden werden?

Sofortstadt versteht Planen und Bauen explizit als Prozess und ergänzt methodisch die Strategie Raumstadt, indem sie neue Formen der Aneignung entwickelt. Sofortstadt greift die oft unvermeidbaren Zwischenzustände von Projekten als Chance auf, Beteiligung und Kooperation von Stadt anders zu nutzen. Berlin ist die Hauptstadt der Zwischennutzung. Mit zeitlich überschaubaren, freudvollen, praktischen Projekten soll Teilhabe durch aktives „Stadtmachen“ real gemacht werden. Das Prinzip der Sofortstadt ist der Ausgangspunkt aller IBA-Projekte. Das IBA-Team nennt die drei Potenziale Berlins „Stadtkapital“, das in Experimentierräumen gehoben werden soll, um neue Mischungen zu erproben und die Potenziale dieser Stadt zu stärken. Wo soll die IBA ihre Fragestellungen ansetzen, wo ihre Projekte verwirklichen?

Für eine beispielhafte Mischung von Wohnen, Arbeiten, Lernen und Forschen könnten die Müllerstraße und der Campus Charlottenburg stehen, aber auch Großsiedlungen der Nachkriegszeit wären geeignete Experimentierräume. Wie könnte etwa in der Gropiusstadt so eine funktionale Mischung erprobt werden?

"Die IBA ist kein Ersatz für Stadtentwicklungsplanung"

Die Nördliche Frankfurter Allee könnte als ein herausragendes Beispiel für Urbanität zwischen Innenstadt und Außenbezirken Denkraum räumlicher und städtebaulicher Mischungen werden. Genauso wie Oberschöneweide, wo es um die Entwicklung von der alten Industriestadt zur neuen Vorstadt am Wasser geht. Teile von Nord-Neukölln in der Nachbarschaft der Tempelhofer Freiheit stehen exemplarisch für die Frage nach der Herstellung und Zusammenhalt sozialer Mischung einer Stadt.

Ein symbolträchtiger Ort einer demokratischen Öffentlichkeit ist die historische Mitte mit Humboldt-, Marx-Engels- und Rathaus-Forum. Wie soll sich dort, im Zentrum der deutschen Hauptstadt, Öffentlichkeit konstituieren? Schließlich geht es um die „gebauten Elefanten“ – vom Steglitzer Kreisel über das Tempelhofer Flughafengebäude bis zu den Museen in Dahlem. Diese ihrer angestammten Nutzung „beraubten“ Gebäude sollen nach dem architektonischen und funktionalen Potential für ihre zukünftige Rolle befragt werden.

Diese Vorschläge sollen das Konzept illustrieren. Sie bedeuten keine Entscheidung „ex cathedra“. Vielmehr sollen in einem Dialog als Erstes die Zahl, die Orte und die Ausrichtung der Projekte festgelegt werden. Der Dialog ist der Motor für die IBA Berlin 2020. Die ersten Ergebnisse zeigen: Sowohl zu den Fragen als auch zur Vorgehensweise wird eine dritte IBA in Berlin andere Wege gehen müssen als ihre Vorgängerinnen. Neue Zeiten brauchen neue Wege.

Die Schweizer Architektin und Stadtplanerin Regula Lüscher ist seit 2007 Senatsbaudirektorin in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Sie ist die Nachfolgerin von Hans Stimmann.

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