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Wohnen auf 28 Quadratmetern. Hinter weißen Türen verschwinden die Einrichtungsgegenstände und lassen den Wohnraum größer wirken.

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Architekturpreis 2016 - Berlins beste Bauten: Mein wunderbarer Wohnsalon

60 Quadratmeter Wohnraum hat jeder Berliner – dabei könnte auch die Hälfte davon für ein gutes Leben reichen, wie ein Kreuzberger Mini-Apartment zeigt.

Wie viel Platz braucht ein Mensch? Manch einer lebt im Loft oder Traumhaus, anderen reicht ein Wohnwagen. Dennoch: Laut einer Studie des statistischen Bundesamtes von 2011 liegt die durchschnittliche Wohnfläche einer einzelnen Person in Berlin bei 59,2 Quadratmetern. Das sind 31,2 Quadratmeter mehr als das Einzimmer-Mini-Apartment von Markus Merz (Name geändert) in der Mittenwalder Straße in Kreuzberg: Seine Wohnung hat nur 28 Quadratmeter.

Ist das die Zukunft des Wohnens in der Metropole, was in diesem Kreuzberger Mietshaus entstanden ist? Denn während die Wohnungsgröße pro Kopf in den vergangenen Jahrzehnten ständig zunahm, ist nun offenbar ein Wendepunkt erreicht. Zusammenrücken ist der neue Trend. In einer Stadt, deren Bevölkerung in den vergangenen Jahren stark gewachsen ist und die Preise für Bauland – und damit die Mieten – immer mehr steigen, werden die Wohnungen nun wieder kleiner.

Berlin rückt zusammen, weil es muss

Die hölzerne Wohnungstür mit Spion und Klinke scheint gewöhnlich. Erst als Merz diese von innen öffnet, zeigt sich, dass hier alles etwas kompakter ist, denn bereits sein kleiner Flur ist gleichzeitig auch Garderobe. „Ich hatte vorher immer größere Wohnungen, aber ich find’s okay“, sagt er: „Das Einzige, was mir fehlt, ist ein spießiger, aber praktischer Hauswirtschaftsraum, wie ihn meine Eltern haben.“ Ihn nervt es etwa, wenn der Wäscheständer mitten im Raum steht. Merz spaziert derweil drei Schritte weiter, dann steht er bereits in seinem Schlafzimmer – auch dieses ist gleichermaßen Wohnzimmer und Küche.

Klar, denn es gibt ja nur ein Zimmer. Einzig eine schmale Wand in der Mitte des Raumes, die rechts und links umgangen werden kann und der Statik dient, schenkt dem Schlafbereich ein Gefühl von räumlicher Intimität. Wieder fünf Schritte weiter liegt hinter einem weißen Einbauschrank, der sich über die komplette Wandbreite zieht, das Badezimmer mit Dusche und grauen Mosaiksteinen. Der Boden wie auch die Decke von Wohnraum und Badezimmer gehen fließend ineinander über, denn es gibt weder eine Türschwelle noch eine Türzarge. Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich die Fenster hinter weißen, glatten Gardinen.

Architekt Jan Rösler machte es sich zur Aufgabe, aus einer Altbauwohnung mit ursprünglich etwa 60 Quadratmetern im Hochparterre zwei moderne Mini-Apartments zu gestalten. Das Mehrfamilienhaus, in dem sich die Wohnung befindet, gehört seiner Oma, die gerne ihr Einverständnis für die Pläne ihres Enkels gab. Also wurde kurzerhand ein Durchgang verschlossen, Holzdielen und Fliesen entfernt und Tapeten abgezogen. Weiße Wände, schwarzer Beton-Estrich und hohe Decken sind nun die zentralen Merkmale dieses Miniaturexemplars von Wohnung.

28 Quadratmeter könnten ausreichen, wenn man flexibel ist

Zu erkennen ist eine klare ästhetische Linie, die in der urbanen Reizüberflutung Kreuzbergs fast therapeutisch auf das Auge wirkt. Erst beim genaueren Hinsehen lassen sich auch noch Rückstände vergangener Zeiten entdecken. Beispielsweise ein offenes Mauerwerk am verschlossenen Durchgangsbogen im Bad, das mit Lehm verarbeitet wurde, oder die türkisfarbene unverputzte Wand mit Tapetenresten über einem Küchenblock. „Der Architekt mag es, die Überreste alter Substanz in einen neuen Kontext zu setzen“, erzählt Merz, der selbst als Architekt arbeitet.

Der weiße Einbauschrank zieht sich nicht nur über die gesamte Wandbreite, sondern auch vom Boden bis zur Decke. Die darin eingebauten zwei Türen zu Flur und Bad verschwinden förmlich darin, sobald sie verschlossen sind. Für den Raum bedeutet dies, dass er trotz der begrenzten Fläche in seiner Wirkung flexibel bleiben kann. So verstärkt sich beispielsweise der weiße, fast schon klinische Charakter, als Merz die Gardinen vollständig zuzieht.

Damit weniger mehr ist. Das Mini-Apartment erweist sich dank pfiffiger Lösungen als Ort für alle Lebenslagen.
Damit weniger mehr ist. Das Mini-Apartment erweist sich dank pfiffiger Lösungen als Ort für alle Lebenslagen.

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Als Küche dient ein weißer Holztresen, den der Architekt selbst gebaut hat. Denn Rösler hat vor dem Studium eine Ausbildung zum Tischler absolviert. Auch hier lässt sich das Spülbecken samt Arbeitsplatte unter einem Deckel und die Waschmaschine hinter weißen Türen verstecken. Röslers Konzept vermittelt sich, Gegenstände verschwinden zu lassen und einen kleinen Raum größer wirken zu lassen – damit weniger in diesem Fall mehr ist.

Mieter Markus Merz unterstützt das Minimalkonzept noch mit seiner schlichten Einrichtung: Ein Bettgestell im Design von Hans Gugelot, zwei schlichte Stehlampen, ein Ledersessel mit Hocker von Vitra und ein altes Schaffell aus Rumänien unterstützen den Apartment-Charakter und zeugen eher von einem Hotelzimmer als von einem Lebensraum.

Private Gegenstände wie der Lieblingsroman oder Urlaubsfotos sind hier nicht zu finden. „Eigentlich schlafe ich hier auch nur. Mein Büro ist im selben Haus. Da bewahre ich alle meine Bücher auf und erledige die Schreibtischangelegenheiten“, sagt Merz. Und auch Gäste hat er in seinem Apartment noch nicht beherbergt.

Ein paar kleine Verbesserungsmöglichkeiten gäbe es für ihn allerdings doch noch. Die Tür zwischen Flur und Wohnraum schleift noch entlang der leicht schrägen Decke und im Garderobenflur sollten Wäscheständer und Bügelbrett noch besser zu verstauen sein. „Das ist noch nicht optimal gelöst“, sagt er und zeigt dabei auch noch auf abgeplatzten Putz neben der Eingangstür. „Da sieht man doch, dass Türrahmen schon ihre Berechtigung haben.“ Dennoch: Merz ist zufrieden in seinen vier Wänden, mag die fließenden Übergänge an Boden und Decke, das Badezimmer, das ohne klassische Kacheln auskommt. Vor allem aber genügt ihm der wenige Platz. 28 Quadratmeter können für manch einen Mieter maximal sein, wenn er flexibel ist.

Weitere Kandidaten für den Architekturpreis Berlin 2016 finden Sie hier.

STIMMEN SIE AB!

Der Architekturpreis Berlin 2016 prämiert Bauten, die kürzlich in Berlin fertiggestellt wurden. Der Preis ist deshalb eine Leistungsschau des guten Bauens. In Kooperation mit dem Verein „Architekturpreis Berlin“ präsentiert der Tagesspiegel in einer Serie zahlreiche Bewerbungen. Wir zeigen, welche architektonische Vielfalt möglich ist und was Bauherren mit Anspruch leisten können.

Sie sind gefragt – bei der Vergabe des Publikumspreises. Unter www.tagesspiegel.de/Architekturpreis können Sie sich in der interaktiven Landkarte bei jedem Projekt einklicken und dann alle Bewerbungen mit weiteren Informationen und Fotos anschauen. Abstimmen können Sie bis 16. Mai. Eine Anmeldung ist nur für die Stimmabgabe nötig.

Merle Collet

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