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Armut: "Betroffen sind immer mehr ganz normale Menschen"

Die Zahl der Hilfsbedürftigen wächst in Berlin. Soziale Einrichtungen wie Kleiderkammern, die Berliner Tafel und Beratungsstellen verzeichnen seit Einführung der Hartz-Gesetze einen größeren Zulauf.

Berlin - Arbeitslose, Ältere und Alleinerziehende sind besonders gefährdet. "Sie stellen den größten Teil jener Menschen, die von Armut bedroht sind", sagt der Sprecher der Berliner Arbeiterwohlfahrt Sascha Braun. Die Sozialeinrichtungen der Hauptstadt sind sich zudem einig: Die Arbeitsmarktreform habe die Situation der sozial Schwachen deutlich verschärft. Im Oktober lebten nach vorläufigen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit knapp 580.000 Menschen in so genannten Bedarfsgemeinschaften, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind. Bei der Einführung der "Hartz IV"-Reform im Januar 2005 waren es noch etwa 480.000.

Kirchen, Arbeiterwohlfahrt und das Deutsche Rote Kreuz beobachten zugleich eine gestiegene Nachfrage in ihren Kleiderkammern, Essensausgaben und Beratungsstellen. Die Arbeiterwohlfahrt verzeichnete 2006 laut Braun in ihren beiden Kleiderkammern rund 60 Prozent mehr Anfragen als im Vorjahr. "Vor allem ältere Menschen zwischen 40 und 60 Jahren nutzen dieses Angebot." Bei der Kleiderkammer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Steglitz-Zehlendorf fragen mehr Bedürftige nach Kinder- und Babybekleidung. Mehr als 550 Bürgern wurde dort laut DRK bis Ende November Kleidung ausgehändigt.

Berliner Tafel erhält doppelt so viele Anfragen wie 2005

Steigende Ratsuchende registriert auch Elfriede Brüning, Sozialarbeiterin in der von der Stadtmission und dem Caritasverband betriebenen Beratungsstelle für Menschen in Wohnungsnot. Während im vergangenen Jahr ihren Angaben zufolge gut 1300 Menschen kamen und 2004 rund 1100, waren es bis November dieses Jahres bereits mehr als 1500 Menschen. Die Zahl der Bedürftigen, die das Angebot der Berliner Tafel nutzen, hat sich sogar verdoppelt. Im November vergangenen Jahres wurden nach Angaben des Vereins etwa 20.000 Menschen an den 42 Ausgabestellen versorgt, im November 2006 rund 40.000.

"Die Probleme der Leistungsbezieher sind seit der Arbeitsmarktreform komplizierter geworden", resümiert Sozialarbeiterin Brüning. "Viele Betroffene sind mit den Bescheiden und Regeln der Arbeitsagentur überfordert." Dem stimmt auch Arbeiterwohlfahrt-Sprecher Braun zu. Er unterstreicht: "Wir gehen davon aus, dass mindestens 20 Prozent der Berechtigten ihre Ansprüche nicht komplett stellen, weil sie den Bescheid nicht verstehen." Älteren Menschen sei es häufig unangenehm, nachzufragen und Alleinerziehende hätten oft nicht die Kraft, auf ihren Rechte zu bestehen.

Kaum noch Stellen für Geringqualifizierte

Für Langzeitarbeitslose gebe es zudem wenig Hoffnung auf eine Anstellung in der Hauptstadt. "Eine Stelle zu finden, ist für Menschen mit geringen schulischen Qualifikationen hier fast aussichtslos, weil immer mehr Industriearbeitsplätze abgebaut werden", so Braun. Da es in Berlin gleichzeitig eine besonders hohe Quote allein erziehender Eltern und Migranten gebe, unter denen immer mehr junge Leute keinen Schulabschluss hätten, gebe es besonders viele Hilfsbedürftige. "Die Situation ist schwieriger als in allen anderen deutschen Städten", betont Braun.

Brüning fügt hinzu, die Armut habe sich verändert. Manche ihrer Hilfe suchenden Klienten hätten sogar Abitur und ein Studium abgeschlossen oder ihre eigene Firma geführt. Diese Personen gerieten beispielsweise nach dem Verlust ihrer Arbeitsstelle in Not, oder weil aus unterschiedlichsten Gründen ihr soziales Netzwerk wegbreche. Die Sozialarbeiterin unterstreicht: "Betroffen sind immer mehr ganz normale Menschen." (Von Mey Dudin, ddp)

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