zum Hauptinhalt
Vor allem Flüchtlingskinder sind oft in schlechtem gesundheitlichem Zustand und brauchen medizinische Versorgung.

© Kay Nietfeld/dpa

Armut in Berlin: Wenn die Schwächsten miteinander konkurrieren

Wohnraum, Sozialarbeiter, Jugendhilfe: Der Senat muss massiv investieren, damit Flüchtlinge anderen Bedürftigen nichts wegnehmen.

Es ist nicht lange her, da erreichten wütende Anrufe die Senatsverwaltungen, die Parteien und auch die Tagesspiegel-Redaktion. Es ging um Flüchtlinge – und knappen Wohnraum, Betreuer und Medikamente. Dinge also, die Asylbewerber brauchen. Wann tut der Senat, so eine der Fragen, mal so viel für deutsche Sozialfälle? Obdachlose schlafen auf der Straße, empörten sich Leser, und Asylbewerber bekommen Turnhallen? Wieso kriegen Flüchtlinge familientaugliche Wohnungen, fragte eine Mutter, und wir nicht?

Ja, Wohnungen sind knapp – auch der neue Senat lässt weniger bauen als gebraucht würde. Nicht wenige Berliner erinnern sich zudem daran, als Jugendclubs, Sportstätten, Kliniken viel Geld gestrichen wurde. Der Senat wolle sich bemühen, heißt es, einer Konkurrenz zwischen alten und neuen Berlinern vorzubeugen. Reicht das?

Zunächst wird der Senat die Vereine entschädigen, deren Turnhallen mit Flüchtlingen belegt waren. Knapp eine Million Euro soll es geben, auf die allerdings 160 Vereine einen Anspruch haben – viel Geld bleibt den einzelnen Sportgruppen nicht. Sportsenator Andreas Geisel (SPD) sagte, er habe „ein schlechtes Gewissen“, weil die Vereine bis „an die Grenze ihrer Belastbarkeit“ gebracht wurden.

Mehr bezahlbare Wohnungen kommen nicht sofort

Ähnliches Unbehagen empfanden einige Berliner, als der Vorgänger-Senat angesichts der Flüchtlingskrise 2015 beschloss, dass Wohnungslose selbst dann die Miete vom Amt erstattet bekommen, wenn sie 20 Prozent über der sonst statthaften Grenze liegt. In einigen Fällen haben Vermieter sofort Flüchtlingen statt suchenden Berlinern ihre Wohnungen angeboten. Hausverwaltungen und Wohnungsbaugesellschaften berichten, massenhafte Beschwerden habe es nicht gegeben. Denn: Die 20-Prozent-Regel gilt für alle Bedürftigen – auch für heimische Obdachlose.

In Berlin ist kein Fall bekannt, wonach ein Vermieter einem Mieter gekündigt hätte, um dessen Wohnung für Flüchtlinge zu nutzen. Die aktuelle „Anwendungsverordnung Wohnen“ gilt bis Jahresende. Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) will sie im Sommer ändern, die zulässigen Kosten sollen erhöht werden: Mehr Berlinern könnte dann 2018 vom Amt bei der Miete geholfen werden. „Wir wollen verhindern, dass Menschen aus ihrer Wohnung müssen“, sagte Breitenbach, „weil sie durch Mieterhöhungen ihre Miete nicht zahlen können.“ Sie möchte so Konkurrenz verhindern, sagte aber auch: Mehr bezahlbare Wohnungen, vor allem aber mehr Jobs, kommen nicht sofort.

Viele Stellen waren schon vor der Flüchtlingskrise unbesetzt

Schöner wäre, sagen Sozialarbeiter, Flüchtlingshelfer und Beamte gleichermaßen, wenn der Senat auch die Infrastruktur angemessen ausbauen würde. Beispielsweise die Kliniken und Gesundheitsämter. Seit der Flüchtlingskrise, berichten Mediziner, kämen noch mehr Männer in den Notaufnahmen an – oft nach Schlägereien in Flüchtlingsheimen. Belastbare Zahlen dazu, ob Asylbewerber überdurchschnittlich oft Kliniken beanspruchen, gibt es nicht. Volle Wartezimmer und gestresstes Personal aber sind ein Problem, das weiß Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD). „Die starke Belastung der Rettungsstellen ist ein Phänomen, das schon lange und unabhängig von der jüngsten Flüchtlingswelle aufgetreten ist.“

Die Versorgung außerhalb üblicher Praxen-Sprechzeiten, sagt Kolat, müsse allerdings besser werden. Denn eigentlich hat Berlin pro Kopf mehr Ärzte als die meisten anderen Bundesländer. Geht es gar nicht um knappe Ressourcen, sondern nur um die Art der Organisation?

Nicht ganz, denn die Stadt braucht vor allem in den Ämtern mehr Fachleute – insbesondere in den Gesundheitsdiensten. Das sind jene Einrichtungen in den Bezirken, die Obdachlose, Schulkinder, Unversicherte und eben auch Asylbewerber mit Impfungen, Untersuchungen und Suchthilfen versorgen. Dort sind die Ressourcen derzeit tatsächlich knapp. Doch hunderte Stellen waren schon vor der Flüchtlingskrise unbesetzt.

In vielen Bereichen hängt in Berlin zu viel von Ehrenamtlichen ab

Viel von Konkurrenz um Ressourcen war zuletzt bei der Jugendhilfe die Rede. Die 2700 unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge kosten vergleichsweise viel Geld. Auch die Betreuung familienloser deutscher Jugendlicher ist aufwendig. Bei Flüchtlingen muss aber oft doch mehr bezahlt werden: neben Sozialarbeitern, Deutschstunden, Wohnungen auch Übersetzer und das Asylverfahren. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hatte mehr Geld für besonders aktive Jugendhilfseinrichtungen angekündigt. Das reicht – solange Integration das Ziel ist – kaum.

Die Caritas sagt: „Für eine gute, kompetente Begleitung solcher Jugendlicher sind wir laufend auf der Suche nach Ehrenamtlichen.“ Damit spricht sie einen schwierigen Punkt an. Seit drei Jahren hängt in Berlin viel zu viel von Ehrenamtlichen ab. Will der Senat offene Kämpfe um knappe Ressourcen verhindern, muss er massiv investieren.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false