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Sie müssen draußen bleiben. Flüchtlinge im August 2014 unter einer Zeltplane auf dem Oranienplatz.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Asyl in Berlin: Flüchtlinge vom Oranienplatz ohne Perspektive

Die Oranienplatz-Flüchtlinge haben keine Aufenthaltserlaubnis, die Stadt bietet keine Zukunft für sie. Die Kirche bietet einigen Obdach – und mahnt politische Lösungen an.

Offiziell gibt es Menschen wie Nasir K. und Moussa S. nicht in Berlin. Eigentlich dürfen sie sich hier überhaupt nicht aufhalten. Dennoch leben sie in der Stadt, und sie sind nicht alleine. Es gibt einige Hundert von ihnen.

Nasir K. und Moussa S. sind Flüchtlinge. Bis vor gut einem Jahr lebten die beiden auf dem Kreuzberger Oranienplatz. Sie waren dorthin gekommen in der Hoffnung, in Deutschland, in Berlin eine Zukunft zu finden. Auf dem Oranienplatz wollten sie – so wie jene Menschen in der besetzten Gerhart-Hauptmann- Schule – dafür kämpfen, sich hier ein neues Leben aufbauen zu dürfen. Der Senat löste im März des vergangenen Jahres das Problem der Besetzung und der damit verbundenen unhaltbaren Zustände mit der Vereinbarung zum Oranienplatz, die Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) ausgehandelt hatte.

Keiner der Flüchtlinge erhielt eine Aufenthaltserlaubnis

Diese besagte: Die Flüchtlinge räumen den Platz und erhalten stattdessen einen Wohnheimplatz, Hilfe zum Lebensunterhalt und eine Prüfung der ausländerrechtlichen Verfahren. Später wurde eine derartige Regelung auch für die meisten Bewohner der Hauptmann-Schule ausgehandelt. Insgesamt 576 Verfahren gab es bei der Ausländerbehörde. Inzwischen sind alle abgeschlossen. Der Senat spricht davon, dass sie in drei Fällen zu Aufenthaltserlaubnissen geführt haben. Flüchtlingsanwälte widersprechen: Nicht eine einzige Erlaubnis sei erteilt worden. Die betreffenden drei hätten ohnehin diesen Status besessen. Gut ein Dutzend Menschen werden vorübergehend aus gesundheitlichen Gründen in der Stadt geduldet. Die Mehrzahl der Flüchtlinge musste die Heime oder Hostels dann ab Spätsommer verlassen – auch der aus Mali stammende Moussa und der aus Nigeria geflohene Nasir. Sie wurden quasi innerhalb weniger Tage obdachlos.

„Der Oranienplatz steht für das Scheitern sowohl deutscher als auch europäischer Flüchtlings- und Migrationspolitik“, ist das Fazit der Rechtsanwältin Berenice Böhlo, die viele Flüchtlinge vertreten hat. „Mitten in Europa, mitten in Berlin sind sie da, doch ohne jedes Recht.“

85 der Kreuzberger Flüchtlinge fanden Zuflucht in Notunterkünften der Evangelischen Kirche. Als die Flüchtlinge im vergangenen Jahr die St.-Thomas-Kirche am Mariannenplatz besetzten, wollte der Kirchenkreis Mitte sich nicht wegducken. „Wir mussten uns der Verantwortung für die Menschen stellen und etwas tun“, sagt die stellvertretende Superintendentin des Kirchenkreises, Silke Radosh-Hinder: Da waren auf einmal Menschen, die auf der Straße standen und zum Teil durch ihre Erlebnisse in den Heimatländern oder ihre abenteuerliche Flucht über das Mittelmeer schwer traumatisiert waren.

Die Gemeinden organisierten Unterkünfte – insgesamt elf stehen derzeit zur Verfügung. Mal ist es ein vorübergehend leer stehender Gemeindesaal, mal eine gerade nicht bewohnte Pfarrdienstwohnung. „Es sind Notunterkünfte“, sagt Radosh-Hinder. Keine Plätze, in denen die Menschen mittel- oder langfristig bleiben können. Das zivilgesellschaftliche Engagement, den Menschen zu helfen, sei groß. Die Unterkunft ist das eine, aber die Flüchtlinge brauchen Mittel zum Lebensunterhalt. Der Kirchenkreis entwickelte ein Patenschaftsmodell für Spenden: Man rechnete damit, dass man pro Person für die Monate bis zum Ende des Winters rund 1000 Euro brauchte. Ärztliche Hilfe musste ebenso organisiert werden, denn die Flüchtlingsgruppe ist von allen öffentlichen medizinischen Leistungen ausgeschlossen.

„Wenn die Kirche dann einfach Tschüss sagt, was dann?“

Moussa und Nasir sowie drei andere Männer aus Nigeria leben in den Räumen einer Gemeinde im Norden Berlins: ein Schlafraum mit fünf Matratzen auf dem Boden, eine kleine Küche, ein Bad. „Wir sind dankbar dafür, dass die Kirche uns hilft“, sagt Nasir. Aber wie lange sie dort bleiben können, ist unklar. Eigentlich waren die Unterkünfte zunächst nur für die Winterzeit geplant. „Wenn die Kirche dann einfach Tschüss sagt, was dann?“, sagt Moussa. Er weiß es nicht; man sieht ihm nur die Hoffnung an, dass es schon irgendwie weitergeht. Zumindest hat die evangelische Kirche nun dem Senat angeboten, mehrere tausend zusätzliche Flüchtlinge in diakonischen Heimen aufzunehmen. Auch mahnte Landesbischof Markus Dröge an, für die 85 Flüchtlinge vom Oranienplatz eine Lösung zu finden.

Noch aber gibt es keine konkreten Aussichten, auch Silke Radosh-Hinder kann Moussa und Nasir nichts sagen. Aber sie ist davon überzeugt, dass man den Menschen helfen muss, „Teil unserer Gesellschaft zu werden“.

Genau das wollen Nasir und Moussa. Sie sind jung: Nasir 22 Jahre alt, Moussa 23. Sie sagen, sie möchten nichts dringender als arbeiten. Aber das dürfen sie nicht – sie haben nur Papiere für Italien. Denn sie sind über Lampedusa nach Europa gekommen. Italien ist für sie keine Option; dort hat man ihnen wie wie vielen tausend anderen Flüchtlingen sofort sehr klar gemacht, dass sie sich mit ihren Aufenthaltspapieren Richtung Norden verziehen sollen. Im Sommer muss Nasir nach Italien: Seine dort erteilte, auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis läuft im Juli aus. Er ist sicher, eine Verlängerung für zwei Jahre zu bekommen. Dann will er nach Berlin zurückkommen.

Die Männer besuchen einen Deutschkurs in einer Sprachschule. Im Januar erhielten sie ein Zeugnis, dass sie das erste Level geschafft haben. Überreicht wurde es bei einem Pressetermin von Integrationssenatorin Dilek Kolat. Die war überrascht, die Männer vom Oranienplatz dort zu treffen. Denn eigentlich dürfen sie doch gar nicht mehr in Berlin sein.

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