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Bei eisigen Temperaturen halten die Flüchtlinge im Hungerstreik auch nachts auf dem Pariser Platz aus. Die mit Protestslogans bemalten Schirme gelten als Kunstgegenstände und dürfen deshalb bleiben.

© Paul Zinken

Asylbewerber: Flüchtlinge bekommen Unterschlupf im Klassenzimmer

Asylbewerber kommen häufig in leerstehenden Schulen und alten Plattenbauten unter. Auf den Folgekosten bleiben oft die Bezirke sitzen – sie kritisieren die mangelnde Planung des Senats.

Beinahe täglich ist der Präsident des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso), Franz Allert, unterwegs, um in den Bezirken neue Unterkünfte für Asylbewerber zu akquirieren. Die Zahl der nach Berlin kommenden Flüchtlinge steigt stetig; viele Einrichtungen sind inzwischen überbelegt. Im Abgeordnetenhaus hat Sozialsenator Mario Czaja (CDU) in der vergangenen Woche noch davon gesprochen, dass in den kommenden Wochen rund 700 Plätze in Notunterkünften gebraucht würden; inzwischen geht das Lageso schon von 1000 benötigten Plätzen aus.
Das Landesamt rechnet damit, dass bis zum Jahresende rund 3500 Menschen in Berlin Asyl beantragt haben werden. Insgesamt leben rund 12 000 Flüchtlinge in Berlin, mehr als 4600 von ihnen in Sammelunterkünften. Lageso-Chef Allert sieht inzwischen mehr Kooperationsbereitschaft bei den Bezirken. In der Vergangenheit wurden vor allem Steglitz-Zehlendorf und Reinickendorf kritisiert. Im Reinickendorfer Ortsteil Heiligensee wird jetzt beispielsweise eine leerstehende Grundschule als Unterkunft genutzt. Das Gebäude wurde vor knapp zwei Wochen bezogen. Rund 110 Flüchtlinge sind inzwischen dort untergekommen.
Lichtenberg hat die meisten Asylbewerber aufgenommen. Bürgermeister Andreas Geisel (SPD) will die anderen Bezirke mehr in die Pflicht nehmen: „Das große Berlin ist doch Anfang der neunziger Jahre schon mit einem ganz anderen Ansturm zurechtgekommen“, sagt er. „Gemeinsam mit allen Bezirken wäre auch die gegenwärtige Situation zu meistern.“ Die vier Asylbewerberheime in Lichtenberg seien an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt. Das größte Gebäude in Hohenschönhausen biete eigentlich Platz für 350 Menschen, derzeit lebten hier fast 400 Personen.

Ausharren in der Kälte. Die Flüchtlinge am Brandenburger Tor im Gespräch mit einem Vertreter der Polizei.
Ausharren in der Kälte. Die Flüchtlinge am Brandenburger Tor im Gespräch mit einem Vertreter der Polizei.

© dpa

Sibyll Klotz (Grüne), Sozialstadträtin in Tempelhof-Schöneberg, hält die stadtweiten Unterbringungsprobleme für hausgemacht. „Der Senat hat keine Vorsorge getroffen“, kritisiert sie. In ihrem Bezirk sind knapp 800 Asylbewerber untergekommen. Vor zwei Jahren wurde im Stadtteil Marienfelde das ehemalige Notaufnahmelager für DDR-Übersiedler wieder in Betrieb genommen, um Flüchtlinge unterzubringen. Zuerst waren es 60 Asylbewerber, inzwischen leben in den Wohnungen des Heimes rund 600 Menschen. Klotz konnte gerade noch die Forderung des Senats abwehren, dort Feldbetten in den Gemeinschaftsräumen aufzustellen. „Das ging überhaupt nicht mehr“, sagt sie. Außerdem würden die Bezirke allein gelassen mit den übrigen Problemen. „Viele Kinder haben beispielsweise keine Impfung gegen Masern und Röteln“, sagt Klotz. Natürlich immunisiere man auch diese Jungen und Mädchen – auf den Kosten blieben die Bezirke erst einmal sitzen. Auch die Oppositionsfraktionen werfen dem Senat fehlende Planung vor. „Sie haben es laufen lassen“, warf etwa die Linke Elke Breitenbach dem Sozialsenator in der vergangenen Woche im Abgeordnetenhaus vor. Immer wieder wird auch die fehlende Information der Anwohner seitens des Senats kritisiert.

Beispielsweise wurde in Grünau zur Überraschung der Anwohner Mitte Oktober ein leerstehender, unsanierter DDR-Plattenbau am S-Bahnhof als Asylbewerberheim wiedereröffnet. Die Anwohner waren wenig begeistert, weshalb der örtliche Pfarrer am vergangenen Freitagabend zu einer Informationsveranstaltung in die Friedenskirche lud. Vor rund 200 überwiegend skeptischen Bürgern beharkten sich dann eine Vertreterin Lageso und die Treptow-Köpenicker Sozialstadträtin Ines Feierabend. Die Lageso- Vertreterin bezeichnete das Quartier als „Notunterkunft“, die trotz ungeeigneter Voraussetzungen – beispielsweise gibt es zu wenige Duschen – eröffnet worden sei. Die Stadträtin hielt dagegen, der Bezirk habe dem Lageso zwei besser geeignete Objekte vorschlagen wollen, sei aber nicht gehört worden und entsprechend verärgert. Lageso-Chef Allert war am Montag in Grünau – aber nicht um über alternative Standorte, sondern über weitere Unterkünfte zu sprechen.
Das bis zu diesem Sommer als Bürgeramt genutzte Gebäude soll laut Lageso zunächst bis Ende März 2013 Plätze für 110 Bewohner bieten. Sie stammen nach Auskunft des Heimleiters überwiegend aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Afghanistan. Von den 60 bereits eingetroffenen seien 40 Kinder, die theoretisch schulpflichtig seien. Praktisch hätten jedoch grundlegendere Dinge Vorrang, zumal viele Bewohner voraussichtlich schon nach einigen Tagen auf andere Unterkünfte verteilt würden.

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