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Am Rand der Stadt: Die Carola-Neher-Straße in Hellersdorf. Auf der rechten Seite liegt die Max-Reinhardt-Schule, die nun zum Asylbewerberheim umgebaut wird.

© dpa

Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf: Geschlossene Gesellschaft

Mit Skepsis wird in Hellersdorf die Ankunft von mehreren hundert Flüchtlingen erwartet. Sie sollen in die leer stehende Max-Reinhardt-Schule einziehen. Die Anwohner fühlen sich von der Politik überrumpelt.

Seit 20 Jahren schon arbeitet die Friseurmeisterin Marina Kliche in Hellersdorf, die letzten acht Jahre davon im eigenen Salon in der Carola-Neher-Straße. Alte und junge Nachbarn kommen in ihren Laden im Erdgeschoss eines aufgehübschten Plattenbaus. Kliche ist im Viertel bestens vernetzt. Dass demnächst 200, später 400 Asylbewerber aus Syrien und dem Irak in die leer stehende Max-Reinhardt-Schule schräg gegenüber einziehen sollen, hat Kliche trotzdem erst am vergangenen Dienstag erfahren. In ihrem Briefkasten fand sie einen großformatigen Flyer, auf dem eine rechtsgerichtete Bürgerinitiative für eine an diesem Tag geplante Bürgerbefragung mobilisierte. Der Titel des Flyers: "Asylbewerberheim in Marzahn-Hellersdorf verhindern!".

Die Hellersdorfer Bürger kamen in Scharen – aber nicht nur sie. An die 900 Menschen erschienen, wie berichtet, bei der Veranstaltung, auf der Hellersdorfs Bürgermeister Stefan Komoß (SPD) über das Asylbewerberheim informieren wollte. Rechte und linke Aktivisten, manche extra für die Veranstaltung angereist, liefert sich lautstarke Auseinandersetzungen. Auch Sebastian Schmidtke, der Berliner Chef der NPD, war da. Rund 200 Polizisten verhinderten, dass es zu Handgreiflichkeiten zwischen den verfeindeten politischen Lagern kam.

Gleich hinter der Wohnsiedlung in Hellersdorf beginnen die Felder

Das Viertel am U-Bahnhof Neue Grottkauer Straße ist eine typische Trabantensiedlung. Fünf- und sechsgeschossige Plattenbauten, in der Mitte eine Einkaufsstraße mit Parkplatz samt Textildiscounter, Schnäppchenmarkt, Solarium und Automatencasino. Gleich hinter der Wohnsiedlung beginnen die Felder – das Viertel ist sehr grün, sehr weitläufig und vor allem: sehr ruhig.

Die meisten Menschen leben gern hier, sie schätzen die Abgeschiedenheit und die nahe Natur. Natürlich hat das Viertel auch mit Problemen zu kämpfen: der hohen Arbeitslosigkeit. Oder dem Alkohol, dem sich einige Anwohner schon mittags widmen. Und den ideologischen Kämpfen zwischen Linken und Rechten, die im Viertel ausgefochten werden. "Das ist ein sozialer Brennpunkt hier", sagt eine Anwohnerin aus der Gegend.

In den vergangenen Jahren hat sich die Lage ein wenig beruhigt – jetzt könnten die alten, aber nie beigelegten Konflikte wieder ausbrechen. Und alles wegen einer alten Schule, die zur vorübergehenden Heimat für einige hundert Menschen aus dem Nahen Osten werden soll – Familien, die vor dem Krieg und der Zerstörung aus der Heimat geflohen sind und nun auf ein friedliches Leben in Deutschland hoffen.

Mit dem friedlichen Leben ist es für die eingesessenen Hellersdorfer erstmal vorbei. Sie befürchten, durch die neuen Nachbarn in den Fokus zu geraten. In den von rechten und linken Gruppen, vor allem aber in den der Öffentlichkeit. "Man hat schon ein bisschen Bedenken, weil man Asylbewerber sonst nur aus den Medien kennt", sagt die Friseurmeisterin Kliche. "Aber die Asylbewerber sind nicht das eigentliche Problem – viel schlimmer wäre es, wenn die Rechten hier jetzt regelmäßig aufkreuzen". Kliche glaubt, dass sich die Asylbewerber im Viertel wohlfühlen – "wenn sie keine Action suchen und selber Ruhe haben wollen".

Hellersdorfer Anwohner haben Angst, dass die Spielplätze vermüllt werden und die Kriminalität steigt

Die Ruhe hat auch Stephan Schultz gesucht, als er vor sechs Jahren aus Prenzlauer Berg an den Stadtrand zog. Der 30-Jährige geht mit dem Hund spazieren, er wohnt gleich um die Ecke. Am Dienstagnachmittag war er auf der Informationsveranstaltung, auf der sich Rechte und Linke gegenseitig niederbrüllten. "Viele Anwohner sind nicht wirklich begeistert", sagt Schultz, "sie sind besorgt, dass die Spielplätze vermüllt werden, dass nun die Kriminalität steigt". Im Viertel rumore es, seit die Pläne des Bezirks bekannt wurden. "Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt, das ist das Hauptproblem", meint Schultz. Er selbst lasse sich aber nicht verrückt machen – und schon gar nicht von den Rechten: "Die helfen uns auch nicht weiter, die wohnen ja nicht mal hier."

Seit den Beinahe-Ausschreitungen am Dienstag hat das Bezirksamt zwei Sicherheitsleute für die Max-Reinhard-Schule abgestellt. Sie sollen vor allem dafür sorgen, dass die Handwerker unbehelligt in der Schule arbeiten können. Aus dem Inneren hört man Bohrgeräusche, auf einer Wiese zwischen Turnhalle und Schulgebäude wartet ein mit Schutt gefüllter Baucontainer auf die Müllabfuhr. Seit Dienstag sei es völlig ruhig geblieben, sagt einer der Wachschützer, die die Schule in Zwölf-Stunden-Schichten Tag und Nacht bewachen. Weder rechte noch linke Aktivisten hätten sich in den letzten Tagen blicken lassen – nun treffe man letzte Vorbereitungen für die Ankunft der Asylbewerber. Die ersten der neuen Nachbarn sollen in wenigen Tagen in der Max-Reinhardt-Schule einziehen. Wohl unter den skeptischen Blicken der Eingesessenen.

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