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Florian Schöttle, 56, ist Atelierbeauftragter beim Berufsverband Bildender Künstler. Seit 1996 betreut der Immobilienkaufmann das Ateliersofortprogramm des Landes, auf das sich professionelle Künstler aus Berlin bewerben können – wenn sie weniger als 16.000 Euro im Jahr verdienen.

© Mike Wolff

Ateliers in Berlin: "Ohne Hilfe geht es nicht"

Es sind die Kreativen, die Berlin als Kulturmarke attraktiv machen. Doch die Studios werden knapp. Der Berliner Atelierbeauftragte Florian Schöttle über Verdrängung und steigende Mieten.

Herr Schöttle, hört man Berliner Künstler über die Stadt sprechen, klingt es, als sei hier bald alles vorbei: Kreuzberg und Prenzlauer Berg unbezahlbar, sogar Gesundbrunnen dicht. Panikmache oder Realität?

Der Wohnungsmarkt entwickelt sich ganz anders, als es förderlich für die Kultur wäre. Berlin ist in den letzten fünf Jahren um 100 000 Haushalte gewachsen, wir haben viele neue Haushalte mit relativ gutem Einkommen. Auf sie fokussiert sich die verwertungsorientierte Immobilienwirtschaft mit ihren Neuangeboten.

Wo wird es denn eng?

Die 5500 Künstler, die im Atelierbüro mit Namen und Adresse bekannt sind, wohnen in Mitte südlich und östlich der Torstraße, in Prenzlauer Berg und vor allem in Kreuzberg, vom alten SO 36 bis nach Nord-Neukölln. Das sind genau die Stadtteile, in denen der Bodenwert jetzt nach oben ausreißt.

Aber sie müssen doch nicht alle jetzt raus.

Die meisten haben Bestandsmietverträge. Die Verdrängung geht sehr schleichend vor sich.

Das sind die Wohnungen. Und die Ateliers?

An den Bewerbungen auf unsere Ateliers sehen wir, dass vor allem die neu zugezogenen Künstler Probleme haben, etwas zu finden. Die zweitgrößte Gruppe sucht Ateliers, weil die Wohnung zu klein geworden ist, zum Beispiel weil Kinder dazugekommen sind. Die dritte Gruppe sagt, sie haben ihr Atelier verloren, weil der Preis gestiegen ist. Man muss dabei bedenken: Die Zahl der Neubewerber steigt seit 2006 exponential. Ebenso die der Atelierverluste: Wenn das so weitergeht, werden es in diesem Jahr 200. Das ist ein Trend.

Wo suchen Künstler Ersatz?

In Industriearealen am Stadtrand, in Johannisthal oder Weißensee. Dorthin ziehen vor allem Künstler unter dreißig, die sozial noch nicht so gebunden sind.

Viele Menschen müssen derzeit an den Stadtrand ziehen. Warum sollte es Künstlern anders ergehen?

Sie tragen erheblich zum Standortimage Berlins bei. Das spielt eine große Rolle für den Tourismus und die sogenannte Kulturwirtschaft. In genau den Vierteln, in denen so viele Künstler wohnen, sind auch die Betriebe der Kreativwirtschaft angesiedelt. Das ist kein Zufall. Die bildnerische Kunst spielt zunehmend eine Rolle für Kreativwirtschaft und Werbung. Wenn die Künstler gehen, gehen die anderen mit.

Wenn die Mieten die Produktionskosten für Kunst steigen lassen, warum wird Kunst aus Berlin nicht teurer?

So einfach ist das auf dem Kunstmarkt nicht. Zwar ist die Zahl der Künstler, die verkaufen können, gestiegen, aber die Sammler sind trotz aller Liebe zur Kunst nicht bereit, mehr zu zahlen als früher.

Warum spricht es sich nicht langsam herum, dass es hier eng wird?

Es kommen in absoluten Zahlen sogar mehr Künstler hierher. Das hat auch damit zu tun, dass Berlin neben Amsterdam die einzige Stadt in Europa mit nennenswerter öffentlicher Atelierförderung ist. Die signalisiert: Ihr seid willkommen.

Der Senat will das Atelierprogramm ausbauen

Dann trägt das Atelierprogramm selbst zum Problem bei: Je mehr Künstler kommen, desto weniger finden ein Atelier.

Deshalb ist der Senat jetzt bereit, das Atelierprogramm auszubauen. Die Aufstockung zählt zu den neuen Förderangeboten für freie Gruppen in der bildenden Kunst.

Zugleich fallen durch die Liegenschaftspolitik des Senats Ateliers fort.

Unsere Verhandlungspartner bei den Bezirken, die gehalten sind, Grundstücke in den Liegenschaftsfonds zu geben, sind sehr unterschiedlich bereit, mit uns, der GSE und der Senatskanzlei zusammenzuarbeiten. Charlottenburg-Wilmersdorf hat fünf bestehende Atelierhäuser auf die Verkaufsliste gesetzt. In Kreuzberg-Friedrichshain dagegen sagt die Regierung ganz klar: Wir geben kein einziges Grundstück mehr in den Liegenschaftsfonds. So gibt es dort nun den Atelierhof Kreuzberg in der Schleiermacherstraße, der beispielhaft ist. Über den Erbpachtvertrag verbleibt das Grundstück in Landesbesitz.

Ein pittoresker Ziegelbau, den zuletzt das Grünflächenamt nutzte. Als die Gärtner auszogen, wollte ein Künstler aus der Nachbarschaft ein Atelierhaus daraus machen.

Genau, wir haben ihn beraten und mit ihm die Struktur entwickelt. Es gibt einen Förderverein aus der Nachbarschaft mit interessierten Bürgern, die den als gemeinnützig eingestuften Künstlerhof mittragen und darüber mitbestimmen, wie er mit seinen vierzig Ateliers bewirtschaftet werden soll.

Ist das Vereins-Atelierhaus eine Alternative zu Markt und Atelierförderprogramm?

Ohne öffentliche Hilfe geht es nicht mehr, jedenfalls nicht in Kreuzberg, Mitte oder Prenzlauer Berg. In Neukölln gibt es noch Industriegebiete, die für die gewerbliche Nutzung nicht mehr attraktiv sind.

Das sind Flachbauten, Parkplätze.

In der Harzer Straße werden gerade Siebziger-Jahre-Gebäude von Künstlern besiedelt. Man nimmt jetzt, was man kriegen kann.

Angenommen, es gibt keine neue Liegenschaftspolitik und es läuft weiter wie bisher: Wie lang geben Sie der Künstlerstadt Berlin?

Wir haben Leipzig vor der Haustür. Dort gibt es einen riesigen Altbau-Leerstand, ein gutes Stipendienprogramm und den Kreativstandort Baumwollspinnerei, der überregional strahlt. Die Stadtverwaltung verfolgt sehr innovative Ideen. Es gibt eine Förderung für Menschen, die leer stehende Gebäude für Wohnzwischennutzung urbar machen, und das Baurecht ist so liberalisiert, dass selbst gebastelte Elektroinstallationen als zulässig gelten. Viele Leipziger Künstler wollen gar nicht mehr nach Berlin wechseln.

Das Gespräch führte Claudia Wahjudi.

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