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Berlin: Auch Obergrenzen könnten sinnvoll sein

Methodikerin Kirchner über Fallzahlen und Qualität

Frau Kirchner, geben Mindestmengen Auskunft darüber, ob ein Patient in einem Krankenhaus gut behandelt wird?

Mindestmengen werden als Schwellenwerte angenommen, die helfen sollen, gute Qualität von schlechter Qualität in Krankenhäusern zu unterscheiden. Es ist ein Modellgedanke, der sich vor allem auf die chirurgischen Eingriffe bezieht, die planbar sind – also keine Notfalleingriffe. Über die konkrete Behandlung im Einzelfall können sie keine genaue Vorhersage treffen.

Seit Beginn dieses Jahres dürfen zum Beispiel Kliniken, die 2004 weniger als 50 künstliche Kniegelenke eingesetzt hatten, diese Leistung nicht mehr anbieten. Auf welcher Basis werden die Mindestzahlen für verschiedene Indikationen festgelegt?

Die Mindestmengen wurden bisher außer für Knie-TEP noch für sechs weitere Eingriffe festgelegt ...

Zum Beispiel für Leber- oder Nierentransplantation oder komplizierte Eingriffe an Speiseröhre und Bauchspeicheldrüse …

Nach dem gesunden Menschenverstand würde man sagen: Wer viel Routine hat, macht auch weniger Fehler. Einige Studien zeigen, dass dies auch so sein könnte. Es gibt jedoch noch eine ganze Reihe anderer Faktoren die das Operationsergebnis beeinflussen können, wie zum Beispiel die gestellte Indikation zur OP, das OP- Management oder die Intensivbetreuung des Patienten. Um diesen Zusammenhang näher zu untersuchen, wurde das IQWiG beauftragt. Wir sollten insbesondere prüfen, ob sich aus vorhandenen Daten und Studien eine konkrete Mindestmenge ableiten lässt.

Aber eine harte, beweisbare Grenze gibt es nicht?

Wir haben zwar festgestellt, dass sich anhand der deutschen Daten eine statistische Beziehung zwischen der Anzahl der Operationen und der Qualität nachweisen lässt, aber wir konnten keinen klaren Grenzwert festlegen. Es gibt jedenfalls keine evidenzbasierten (in klinischen Studien nachgewiesenen, d. Red.) Belege dafür, dass die Anzahl der durchgeführten Operationen in einem Krankenhaus alleine zu besserer Qualität führt.

Man kann also nicht sagen: Haus A setzt 200 Knieprothesen im Jahr ein, Haus B doppelt so viele – also hat Haus B doppelt so viel Erfahrung und ist besser?

Nein. Dazu müsste man die Qualität des einzelnen Krankenhauses näher betrachten, die Anzahl der Operateure, die Auslastung des Personals und die organisatorischen Abläufe einbeziehen. Aber solche Auswertungen gibt es bisher nicht.

Trotzdem werben manche Krankenhäuser mit ihren hohen Fallzahlen.

Wenn sie belegen wollen, dass sie gute Qualität abliefern, müssten sie ihre Fallzahlen unterfüttern: mit Infektionsstatistiken etwa oder mit Ergebnissen in punkto Beweglichkeit oder Schmerztherapie. Solche Faktoren müsste man miteinander in Beziehung setzen, um zu einer Bewertung von Qualität zu kommen. Das wird auch das Ziel für die Zukunft sein: verlässliche Qualitätsindikatoren zu entwickeln.

Sie haben Daten zum Einsatz künstlicher Kniegelenke ausgewertet. Dabei kam unter anderem heraus: Ab einer Anzahl von 400 Operationen, stieg das statistische Risiko an, dass ein operiertes Kniegelenk nach der Operation unbeweglicher wird. Gibt es dafür eine Erklärung?

Man kann nur Hypothesen entwickeln. Man könnte sich fragen, ob es Faktoren gibt, die dazu führen, dass der Behandlungserfolg ab einer gewissen Anzahl von Behandlungen abnimmt: Personalauslastung, Arbeitsbelastung, unzureichende Nachversorgung und dergleichen.

Arbeiten Operateure womöglich ab einer gewissen Zahl von Eingriffen nicht mehr so gut, weil sie überlastet sind oder weil Organisationsabläufe im Operationssaal nicht optimal geplant sind?

Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten, die die Behandlungsqualität beeinflussen könnten. Um die herauszufinden, müsste man Studien mit Kontrollgruppen machen. Alles andere ist noch Spekulation.

Müsste man Höchstmengen festlegen?

Die Ergebnisse des Knie-Endoprothesen- Berichts beim Faktor „Beweglichkeit“ legen diesen Schluss nahe. Aber: Sie gelten eben zunächst nur für diesen Faktor, während das Risiko einer Infektion mit jedem weiteren Eingriff abzunehmen scheint. Diese Ergebnisse lassen sich nicht einfach in einem Schwellenwert zusammenfassen.

Lassen sie sich denn auf andere Eingriffe übertragen?

Nein. Die Beobachtung, dass ab einer gewissen Anzahl an Eingriffen die Qualität sinkt, haben wir bisher nur für Knie-Endoprothesen festgestellt. Ein entsprechender Bericht für die PTCA (Verfahren zur Erweiterung verengter Herzkranzgefäße, d. Red.) steht noch aus. Es kann sein, dass man bei anderen Eingriffen zu ganz anderen Ergebnissen kommt.

Dr. Hanna Kirchner, 40, ist Ressortleiterin Versorgungsqualität im Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz: IQWIG. Das Interview führte Marc Neller.

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