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Renate Wesselhöft hilft mit, die Tiere aufzupäppeln.

© Kitty Kleist-Heinrich

Auf Brachen und in Hinterhöfen Berlins: Der große Katzenjammer

3000 Kilometer im Monat fährt Renate Wesselhöft durch Berlin, um streunende Stubentiger zu versorgen Die Tierschützerin füttert nicht nur, sie bringt die Tiere zum Kastrieren. Nur so ist das Elend einzudämmen.

Eilig nestelt die feine ältere Dame an dem Schloss, das vor der Tür im Zaun um das Industriegelände hängt, denn es fängt nun auch noch an zu regnen. Das Schloss geht auf, sie schlüpft aufs Grundstück, eine Brache in Köpenick, und hält sich mit schnellen Schritten links, immer am Fabrikgebäude entlang, das sich hier erstreckt. Noch eine Ecke, „Püppi!“, ruft sie, und da sitzt Püppi auch schon im Gestrüpp. Und Schwarzchen daneben. Renate Wesselhöft bremst ihren eiligen Schritt.

Püppi und Schwarzchen sind zwei Hauskatzen, die kein Zuhause mehr haben. Seit 13 Jahren leben sie frei in dieser Gegend, und sie können sich nicht sonderlich leiden. Dennoch hocken sie Tag um Tag gegen zwölf Uhr am Rand der Brache friedlich nebeneinander, weil sie wissen, dass Renate Wesselhöft dann kommen wird. Mit einer Tüte über dem Arm, in der Katzenfutter steckt.

Renate Wesselhöft hat im Gestrüpp eine Art Bistro eingerichtet. Unter zwei getrennten Wetterdächern stehen zwei Näpfe, die sie schnell mit einen Tuch auswischt, bevor sie die Futterdose aufreißt und deren Inhalt hineinkippt. Die Katzen fressen sofort. Renate Wesselhöft zerquetscht die leeren Dosen und wirft sie in ihren Beutel zurück. Sie schaut den Katzen kurz zu, dann eilt sie los, verschließt das Zaunschloss, startet ihr Auto und biegt zwei Mal ab, bevor sie an der nächsten Futterstelle ist.

Video: Besuch im Katzenhaus

Wieder ein Zaun, diesmal aus Holz, dahinter ein leerer Gewerbehof. Wieder Napf auswischen, Futter hineinkippen. Die Soße, die ihr über die Hand rinnt, wischt sie ohne hinzuschauen ab. Sie blickt in die winterbleiche Vegetation und hofft, die Katze, für die das Fressen ist, zu entdecken. Aber die lässt sich nicht blicken.

Dann fährt sie nach Kreuzberg. Im dritten Hinterhof eines Gewerbegeländes kriecht sie hinter aufgetürmte Holzbretter und Kanthölzer, wo sie die Futterstelle etwas versteckt eingerichtet hat. „Mutz, mutz“, ruft sie. Aber auch hier keine Antwort. Sie richtet sich auf, „mutz mutz?“, eine Frau kommt aus dem Aufgang und sagt „suchen Sie was?“

„Nein, ich fütter’ die Katzen, ich bin vom Tierschutzverein.“

Vor allem Männer lehnen Kastrierung von Katern ab

Pflegestation. Im Tierheim Hohenschönhausen existiert ein Katzenhaus mit großem Auslauf für verwilderte Hauskatzen.
Pflegestation. Im Tierheim Hohenschönhausen existiert ein Katzenhaus mit großem Auslauf für verwilderte Hauskatzen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Und das seit 27 Jahren, schon zu DDR-Zeiten. Es waren Katzen, die sie damals zum Tierschutz gebracht haben, und an denen hängt bis heute ihr Herz.

Renate Wesselhöft ist inzwischen 75 Jahre alt. Sie trägt eine oliv schimmernde Steppjacke, Absatzschuhe und schöne Halstücher. Sie fährt in ihrem tierschutzaufkleberverzierten Minijeep 3000 Kilometer pro Monat durch Berlin, um frei lebende Katzen zu versorgen. Das heißt zum einen, ihnen zuverlässig Futter zu liefern. Es heißt aber noch viel dringender, dafür zu sorgen, dass sie kastriert werden. Denn frei lebende Katzen führen ein elendes Leben, und sie vermehren sich schnell. Wer ihnen helfen will, sorgt dafür, dass die Vermehrung aufhört. Renate Wesselhöft und ihre Helfer sind darin recht erfolgreich. An der Futterstelle am Rand der Köpenicker Industriebrache lebten früher mehr als 30 Tiere. Jetzt sind es nur noch Püppi und Schwarzchen.

Von Kreuzberg aus geht es dann nach Hohenschönhausen, ins Tierheim. Auf dessen Gelände gibt es seit drei Jahren ein Katzenhaus mit großem Auslauf für verwilderte Hauskatzen. Für jene Tiere, die Renate Wesselhöft und ihre ehrenamtlichen Helfer von der Straße weggefangen haben, um sie zu untersuchen, gegebenenfalls zu kastrieren, ihnen einen Chip einzupflanzen, und die danach nicht wieder an der Fangstelle ausgesetzt werden konnten, weil dort beispielsweise nun eine Baustelle ist oder weil dort mit Luftgewehren auf sie geschossen wurde.

60 Katzen leben derzeit in dem Katzenhaus, mehr passen nicht hinein. Sie werden wieder zahm gemacht, was je nach Entfremdung und Erlittenem zwischen 14 Tage und mehrere Monate dauert, denn das Ziel ist, sie wieder an Menschen zu vermitteln. Renate Wesselhöft schätzt, dass in Berlin mehrere zigtausend ausgewilderter Katzen leben. Sie wurden bei Umzügen nicht mitgenommen oder von ihren Besitzern ausgesetzt. Das passiere vor allem tragenden Katzen, weil die Menschen nicht wissen, was sie mit dem Nachwuchs anfangen sollen.

Deshalb bietet der Tierschutzverein eine intensive Beratung zur Kastrierungen an und appelliert, wann immer möglich, diese Möglichkeit zu nutzen.

Oft genug hörten die Menschen aber nicht zu. Vor allem Männer, sagt Renate Wesselhöft, lehnten Kastrierungen ab. Dazu lächelt sie fein. Diese Unvernunft führe dann zum Elend auf der Straße: zu halb verhungerten, verletzten, struppigen, vereiterten Katzen, Katzen, denen ein halbes Bein fehlt oder ein Auge. „So richtig fröhlich kann man nicht sein, wenn man Tierschutz macht“, sagt Renate Wesselhöft. Die Menschen seien leichtsinnig und nachlässig im Umgang mit den Lebewesen, die sich doch mal selbst angeschafft haben.

Im Katzenhaus herrscht träge Ruhe. Auf hohen Regalbrettern steht Korb an Korb, in fast jedem zweiten hat sich eine Katze zusammengerollt. Leitern verbinden oben und unten. Bälle und Wollknäule liegen herum. Die zutraulicheren unter den Tieren kommen angeschlichen, als sie Renate Wesselhöft bemerken. Sie geht in die Hocke und streckt die Hand nach ihnen aus. Wenn eine den Hals streckt und mit der Nase Richtung Hand schnuppert, ist das schon fast ein Zeichen dafür, dass sie bald ins Vermittlungshaus umziehen kann. Sozusagen zu den normalen Katzen, die im Tierheim abgegeben werden und auf ein neues Zuhause warten.

Vielleicht kommen sie diesmal in eines, in dem die Menschen wissen, was sie tun.

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