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Berlin: Auf den letzten Drücker

Noch stehen tausende Jugendliche ohne Lehrstelle da. Industrie und Handwerk wollen das ändern

An Serkan Sternberg kommt keiner vorbei. Das liegt nicht so sehr daran, dass der Ausbildungsberater der Industrie- und Handelskammer ein breites Kreuz hat und die meisten seiner Gesprächspartner überragt. Das liegt vor allem an seinen blauen Mappen, wo alles über die Betriebe drinsteht, bei denen er für neue Ausbildungsplätze wirbt. „Wenn mir ein Jungunternehmer sagt: ’Für uns ist das noch zu früh, einen Auszubildenden einzustellen’, notier ich mir das“, sagt der Mann im hellgrauen Dreiteiler. „Der sieht mich garantiert nächstes Jahr wieder.“ Irgendwann, so die Erfahrung des 25-Jährigen, bilden fast alle aus.

Sternberg ist einer von 17 Ausbildungsberatern der Berliner IHK, die jetzt besonders intensiv auf Werbetour gehen. Auch die Handwerkskammer setzt 15 bis 20 Mitarbeiter ein, um möglichst jedem Jugendlichen, der noch eine Ausbildung sucht, zu versorgen. Noch ist das nicht gelungen, rund 9600 junge Berliner suchten bis Anfang September erfolglos nach einem Berufseinstieg in einem Unternehmen. Weil 2003 bundesweit insgesamt rund 20000 Ausbildungsplätze fehlten, fordern die Gewerkschaften eine Ausbildungsplatzabgabe. Die Bundesregierung setzt dagegen auf den mit der Wirtschaft im Sommer vereinbarten Ausbildungspakt. Doch die Verbände wissen: Sollte der Pakt scheitern und die Zahl der Jugendlichen ohne Lehrstelle weiter steigen, könnte die befürchtete Abgabe doch noch kommen.

Serkan Sternberg tut sein Bestes, um das zu verhindern. Heute führt ihn sein Terminkalender ins Universal-Gebäude an der Oberbaumbrücke, zur Agentur nhb network. „Sonst arbeiten wir ja immer mit Praktikanten“, sagt Geschäftsführer Matthias Rewig. Aber nach mittlerweile fünf Jahren Firmengeschichte nervt ihn der ständige Wechsel der Gesichter, und er denkt darüber nach, aus seiner Praktikantin Yvonne Banasiak einen Azubi zu machen. Als Werbekauffrau lernt man drei Jahre – in der schnelllebigen Branche eine kleine Ewigkeit. „Nach der Einlernphase gewinnen sie eine produktive Mitarbeiterin, die genau die Fähigkeiten erwirbt, die sie brauchen“, wirbt Sternberg.

Der IHK–Mann weiß, dass es keinen Sinn macht, Unternehmer zur Ausbildung zu überreden: Er muss sie überzeugen. Denn zunächst erscheint der neue Auszubildende als Kostenfaktor, den viele Firmen in der Flaute der vergangenen Jahre entbehrlich fanden. Die Vergütung orientiert sich an Tarifverträgen oder Durchschnittswerten, die maximal um 20 Prozent unterschritten werden dürfen. Im Westteil der in diesem Punkt noch immer geteilten Stadt gilt für Werber ein Wert von 540 Euro, im Osten sind es 454 Euro. Der Richtwert steigt im dritten Lehrjahr bis auf 683 Euro (West) beziehungsweise 586 Euro (Ost). Auch die Schulzeiten schrecken manchen eng kalkulierenden Unternehmer ab: An ein bis zwei Tagen in der Woche wird die angehende Werbefachfrau die Berufsschulbank drücken statt Flyer zu gestalten oder Trailer zu produzieren. Doch zumindest eine Befürchtung von Werbeprofi Rewig kann Sternberg ausräumen: „Die Urlaubszeiten orientieren sich am Unternehmen, nicht an den Schulferien.“

Irgendwann fällt dann die Frage, die immer irgendwann fällt, wie Sternberg weiß: „Gibt es eine Förderung?“ Doch die Zeiten, in denen ein spendierfreudiger Berliner Senat noch eine Azubi-Zulage für neue Ausbildungsbetriebe zahlte, sind vorbei. Nur noch in Härtefällen gibt es einen Zuschuss – etwa wenn Firmen Azubis übernehmen, die aufgrund der Insolvenz ihres Ausbilders auf der Straße gelandet sind. Bei Yvonne Banasiak ist das nicht der Fall. Streng genommen ist die 19-Jährige spät dran, schließlich hat das Lehrjahr für viele am ersten September begonnen. „Ich habe mich erst nach dem Abitur gefragt: Was mache ich jetzt?“, sagt sie. Die kreative Arbeit und das professionelle Betreuung durch ihre Ausbilderin Simone Legner haben sie so begeistert, dass sie jetzt sicher ist, bei nhb richtig zu sein. Zu spät ist es noch nicht: „Ein paar Wochen Berufsschule kann man leicht aufholen“, sagt Ausbildungsberater Sternberg.

Anja Nußbaum, bei der IHK für den Bereich Ausbildung zuständig, weiß, dass sich viele Jugendliche, aber auch manche Unternehmen erst auf den letzten Drücker auf eine Ausbildung festlegen. „5000 Lehrstellen werden bis Ende des Jahres noch vergeben“, schätzt sie. Zudem gibt es dieses Jahr erstmals die neuen Einstiegsqualifizierungen, die Jugendliche, die noch nicht ausbildungsreif sind, in einjährigen Praktika fit für den Job machen sollen. Wie viele es in Berlin im ersten Jahr sein werden, ist noch offen. Zudem setzt Anja Nußbaum auf die Nachvermittlungsbörse. Dazu erhält jeder Jugendliche, der noch als unversorgt gemeldet ist, eine Einladung von Wirtschaftsverbänden und Arbeitsagentur. Ausbilder und Berater besprechen dann ab 4. Oktober mit den Jugendlichen Strategien für die weitere Ausbildung. Dabei können dann auch die neuen Einstiegsqualifizierungen vereinbart werden.

Am Ende des Gesprächs ist sich Werbeprofi Rewig „zu neunzig Prozent sicher“, dass er es mit Yvonne Banasiak als Azubi versuchen will. An Serkan Sternberg kommt man eben nur schwer vorbei.

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