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Berlin: Auf der Schwelle

Die Jugendämter sollen mehr Tempo machen, um Kinder besser zu schützen. Dabei müssen sie ständig abwägen: Kinderschutz gegen Elternrechte

Zwei Stunden – mehr Zeit soll nicht vergehen. Wenn einem Kind Leid geschieht, muss das Jugendamt sofort handeln, notfalls mit Hilfe der Polizei. Alle anderen Aufgaben sind nachrangig. So legen es die neuen Ausführungsvorschriften des Senats fest, mit denen der Kinderschutz besser gesichert werden soll als bisher. Nie darf ein Bearbeiter weg sein ohne einen verantwortlichen Vertreter.

Das war auch überfällig. Gerade häuften sich Fäller krasser Kindesvernachlässigung, Kinder wurden in mehreren Stadtteilen aus vermüllten Wohnungen voller Kot und Schimmel geholt, und vier Kinder in Prenzlauer Berg wurden von ihrer Mutter sogar monatelang allein gelassen, ohne dass es beim Jugendamt bemerkt worden wäre. Besonders schrecklich nun auch noch der Mord an der achtjährigen Amani (siehe Seite 9). In allen Fällen waren die Familien dem Jugendamt bekannt – trotzdem konnte all das geschehen.

Es fehlte zuvor also an vielem, und die Leidtragenden waren die Kinder: Behörden arbeiteten nicht richtig zusammen, Vorgänge blieben zu lange liegen, eine zentrale Anlaufstelle gab es ebensowenig wie einheitliche Leitlinien für die Arbeit. Das soll nun besser werden. Nicht nur müssen die Jugendämter wochentags von 10 bis 18 Uhr durchgehend erreichbar sein, sondern es gibt wie berichtet auch eine zentrale Nummer, unter der rund um die Uhr Berater anrufbar sind: die 61 00 66. An diesem Angebot wurde lange gearbeitet, bis die Leitung endlich am 2. Mai freigeschaltet wurde.

Die neue Kinderschutz-Hotline wird sehr gut angenommen. „Etwa 50 Anrufe sind seit dem Start bei uns eingegangen“, sagte Martina Hartwig, die Leiterin der Berliner Notdienste, die derzeit selbst Telefondienst macht, weil noch nicht genügend Personal da ist. Vier Stellen sind vorgesehen.

Von den 50 Fällen, die die Anrufer gemeldet haben, war einer so schwerwiegend, dass das Jugendamt das Kind in Obhut nahm – das ist das äußerste Mittel, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Meistens wird erstmal das Gespräch mit den Eltern gesucht. Von den Anrufern bei der Hotline waren viele auch einfach nur besorgt, meist war ihnen bei Nachbarn etwas aufgefallen, und nun wollten sie wissen, was sie tun sollen. Das fällt vielen offenbar leichter, als gleich die Polizei einzuschalten.

„Wir versuchen im Gespräch erstmal so viel wie möglich herauszufinden“, sagt Martina Hartwig. Was wurde beobachtet, was weiß der Anrufer über die Familie, gibt es dort Gewalt oder ein Suchtproblem? Die Mitarbeiter haben eine Checkliste, die ihnen dabei helfen soll, die Lage zu erfassen. Am Ende schätzen sie das Risiko ab und entscheiden, ob binnen zwei Stunden gehandelt werden muss. So jedenfalls der Plan. Im Bedarfsfall sollen sich dann sofort zwei Mitarbeiter des Jugendamts auf den Weg zu einem unangemeldeten Hausbesuch bei der betroffenen Familie machen.

Allerdings werden sie dort mitunter nicht gerade willkommen geheißen. Und das Grundgesetz gibt den widerwilligen Eltern Recht: Sie haben nun einmal das Erziehungsmonopol und müssen die Jugendamtsmitarbeiter nicht in ihre Wohnung lassen. Wenn nötig, muss sich das Jugendamt mit Hilfe der Polizei Zutritt verschaffen, besonders bei Gefahr für Leib oder Leben des Kindes. „Dafür muss aber schon eine sehr aggressive Situation vorgefunden werden“, sagt Martina Hartwig. Meist werde nicht die Polizei gerufen.

Manche sagen auch, für viele ausgebildete Sozialarbeiter sei die Polizei eher ein Feindbild als der Freund und Helfer. Das könnte die Zurückhaltung ebenfalls erklären.

Fatina Keilani

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