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Berlin: Auf der Straße sitzen

Wie eine Berlinerin, Ost, die Stadt erleben kann

Komm in die Kaufhalle, Lutscher kaufen. Oder Blockschokolade. Wenn du fünf Pfennig übrig hast, reicht‘s noch für ‘ne Schrippe. Mitte, S-Bahnhof Jannowitzbrücke, Holtzmarktstraße. Der Supermarkt der Kindheit ist groß und hell und geräumig. Kaffee und Zigaretten gibt es extra an einem kleinen Stand. Die Kaufhalle ist die Weltzeituhr des Wohngebietes, Treffpunkt aller Verabredungen. Sie ist Zufluchtsort der Einsamen, Begegnungsstätte von Freunden.

Das war einmal. Nach der Wende hat der Betonbau neue Farbe bekommen. Neue Inhalte auch. Er hieß erst Bolle, dann Extra – Identifikation fiel schwer. Auf der Suche nach dem passenden n verlor sich die Kaufhalle ins Anonyme. Als ich 18 wurde, zog ich in den Prenzlauer Berg. Dort baute man gerade Ladenwohnungen aus und um, der Lebensmitteleinzelhandel wurde hier ganz neu entdeckt. Spanischer Käse, italienische Wurst, Pasteten: Solche Sachen gab es plötzlich. Die Läden waren klein und gemütlich, die Betreiber freundlich. Sie stellten Bänke vor die Tür, kochten Kaffee und plauschten mit den Gästen.

In der Winsstraße, in einem von den Bewohnern selbst ausgebauten Haus, hat vor einem Jahr Ira Tepperwien-Otting so ein Geschäft eröffnet: das Ladencafé „enten und katzen“, ein Mix aus Bio- und Feinkostladen, Außer-Haus-Verkauf und Café. In kurzer Zeit ist das „enten und katzen“ zu einem Ort der Kommunikation geworden. Mütter, die gerade ihre Kinder in die Schule gebracht haben, Studenten und andere Kiezbewohner setzen sich an die Tische vorm Laden, um zu verschnaufen. Die Sonne scheint ihnen ins Gesicht, im Latte Macchiato stakt der Silberlöffel, vom Mozzarella-Baguette tropft die Basilikum-Paste. Nicht lange bleibt man im „enten und katzen“ allein. Manche kommen nur kurz vorbei - und vertiefen sich für Stunden in ein Gespräch.

Angefangen hat Ira Tepperwien-Otting ihr Geschäft in nur einem Raum mit wenigen Regalen. Nach und nach erweiterte sie das Sortiment nach den Wünschen der Kunden. Sie bestellte Ahornöl, lieferte zu Weihnachten Brot nach Hause, richtete für Kinder eine Spielecke ein und hielt auch nach der Einführung des Euro den Preis ihrer Bioprodukte am unteren Bereich. So ist es auch egal, wenn man mal ein paar Minuten anstehen muss. Die Leute kaufen bewusst hier ein, sonst würden sie in den Supermarkt gehen, der liegt schräg gegenüber.

Dass es nun mit dem „enten und katzen“ vorbei sein könnte, liegt an den Gesetzen. Die besagen, dass ein „Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft“ Stühle und Tische nur dann ins Freie stellen darf, wenn es vielfältige Auflagen erfüllt. Die sind teuer, die Inhaberin, selbst Mutter von drei Kindern, kann sie nicht bezahlen. Also werden jetzt Unterschriften gesammelt, um die Ordnungshüter milde zu stimmen. Kahl und verlassen sähe die Winsstraße ohne „enten und katzen“ aus. Auch wenn es jetzt bereits keine Enten und Katzen dort gibt. Der Name des Ladens bezieht sich auf eine Kinderzeichnung. Katja Hübner

„enten und katzen“, Ladencafé, Winsstraße 58, 10405 Berlin, Telefon: 44041552, Montag bis Freitag von 8 bis 20 Uhr, Sonnabend von 8 bis 16 Uhr.

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