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Auf Deutsch gesagt: Geschleift oder geschliffen

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Die Konjugation mancher Verben ist nicht einfach. Man muss sie sich merken, notfalls nachschlagen. Das ist vielen zu lästig. Seltsame Formen tauchen auf, die in Dialekten üblich sind, aber in der Standardsprache nichts zu suchen haben. So wird ständig gewunken statt gewinkt, in manchen Gegenden gemalen (gemalt) oder gebaden (gebadet). Man muss schon schwach und stark, also regelmäßig und unregelmäßig, gebeugte Verben unterscheiden: reden, redete, geredet. Aber sprechen, sprach, gesprochen. Mit der Zeit haben sich auch Mischformen durchgesetzt, oft gilt die neuere Form als ebenso korrekt wie die ältere. Nehmen wir das eigentlich schwache Verb spalten (spaltete, gespaltet) und das starke Verb saugen (sog, gesogen). Es ist mittlerweile einerlei, ob eine Partei gespaltet oder gespalten ist, wenngleich man häufiger gespalten sagt. Auch wird heute eher gesaugt als gesogen; beides ist korrekt. Andererseits bleibt es bei der regelmäßigen Beugung des Verbs winken (winkte, gewinkt). Laut Duden ist gewunken unzulässig. Wer weiß, wie lange.

Bei etlichen Verben besteht Verwechslungsgefahr: Sie werden unterschiedlich konjugiert, je nach Wortsinn. So kann das Verb hängen eine Tat oder einen Zustand bezeichnen. Folglich hängte sie das Kleid auf den Bügel, sie hat es aufgehängt. Es hing im Schrank, es hat dort gehangen. Trotzdem wird ungeniert behauptet, dass jemand etwas aufhing, aufgehangen hat.

Was hat die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth bewogen – also veranlasst, nicht etwa bewegt, denn das wäre eine Gefühlsregung –, das Gegenteil dessen zu erklären, was sie meinte? Im Wahlkampf sagte sie zu den Steuersenkungsplänen der FDP: „Wenn es eine Entlastung der Besserverdienenden geben soll, dann kann das nur heißen, dass der Sozialstaat geschliffen werden soll.“ Nanu, dachte ich, sind die Grünen jetzt auch für Steuersenkungen? Irrtum, sie wollte nur ihre Befürchtung ausdrücken, dass der Sozialstaat geschleift, zerstört werden soll. Schleifen im Sinne des Schärfens und Glättens wird unregelmäßig gebeugt: Er schleift, er schliff das Messer, er hat den Diamanten geschliffen. Sie hielt eine geschliffene Rede, eine glänzende, rhetorisch brillante. In der Bedeutung „über den Boden ziehen“ oder „zunichte machen“ wird schleifen hingegen regelmäßig konjugiert. Er schleifte das geschossene Wild hinter sich her. Burgen wurden geschleift, dem Erdboden gleich gemacht. Ach, geschliffenes Deutsch ist rar, aber es lohnt sich, die Bemühungen darum nicht schleifen zu lassen.

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