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Berlin: Auf einmal sind sie alle weg

Immer mehr Berliner und Berlin-Besucher drängeln in die Unterwelt und hinter die Kulissen der Stadt

Ein Autofahrer bremst heftig, ein anderer parkt ordnungswidrig. Schließlich sieht man nicht alle Tage 30 Menschen hintereinander in einer Luke im Boden des Schloßplatzes in Mitte verschwinden. Nach zehn Minuten sind sie alle weg. Unternehmungslustige Berliner auf dem Weg in eine finstere Welt. Sie erforschen die Stützgewölbe des einstigen Kaiser-Denkmals an der Westseite des Platzes und sagen, das sei ihr schönster Sonntagsspaziergang. Tropfsteine schimmern im Kegel der Taschenlampen: Sie sind als Abenteurer in der eigenen Stadt unterwegs und auf diesem Trip keineswegs Exoten.

„Immer mehr Berliner und Berlin-Besucher wollen auch die verborgenen Seiten ihrer Stadt kennen lernen“, freut sich Natascha Kompatzki von der Berlin Tourismus Marketing GmbH und spricht vom Trend zum Ungewöhnlichen. Berlin macht neugierig, weil sich mehr und mehr Stätten und Einrichtungen öffnen, die unerreichbar erscheinen oder von denen man keine Ahnung hat – „obwohl wir ständig daran vorbei laufen“, sagt Eberhard Elfert, dessen Veranstaltungsagentur „Kultur-Management Elfert“ Erlebnisausflüge in Berlin anbietet. Sein Geschäftsfeld hält er für unerschöpflich. „Hier können Sie ein Leben lang auf Entdeckungstour gehen.“ Sogar eine Ruderpartie durch einen Regenüberlaufkanal gehört zu Elferts Programm.

Er findet selbst für Kegelklub- oder Betriebsausflüge den spannenden Dreh und hatte in diesem Jahr mehr denn je zu tun. Ebenso wie die Arbeitsgemeinschaft Unterwelten in ihrem Tiefbunker am U-Bahnhof Gesundbrunnen. Den Bunker haben ihre Mitglieder hergerichtet, weil er eindrucksvoll die Grauen des Krieges bezeugt. Nun führen sie dort jeweils sonnabends ab 12, 14, 16 und 18 Uhr Besuchergruppen drei Etagen unter die Erde. 2001 kamen rund 6000 Interessenten, in diesem Jahr werden es mehr als 20 000 sein.

Doch Berlin-Abenteuer gibt es nicht nur in der Unterwelt. Wer Geheimnisse sucht, erlebt auch hinter den Kulissen der Opern aufregende Vorstellungen – im Kostümfundus oder auf dem Schnürboden zwischen Tauen wie in der Takelage eines Viermasters. Und Museen, Sammlungen oder Archive wie das Ethnologische Museum, die Theatersammlung der Stiftung Stadtmuseum und das Landesarchiv reagieren gleichfalls auf den Drang zum Besonderen. Das ist ihre neue Chance. Sie begeistern Besucher, die auf gewöhnlichen Wegen kaum zu ihnen fänden.

Also öffnen sie ihre Depots, gefüllt bis zur Regalspitze mit selten gezeigten Schätzen. Auch Forschungsstätten wie das Hahn-Meitner-Institut stellen ihre Arbeit vor. Im Zoo und Tierpark vergeht kein Tag mehr ohne Geburtstagstouren für Kinder, bei denen die Kleinen sogar Pythons streicheln dürfen. Und Firmen wie die Neuköllner Biobäckerei „Märkisches Landbrot“ nutzen die Freude am Blick hinter die Kulissen zur Imagepflege: Sie laden zu Betriebsführungen ein.

Oft ist das Abenteuer nur ein paar U-Bahnstationen entfernt. Aber wie findet man die richtige Adresse? Viele Orte preisen Spezialführungen im Netz an, ebenso wie die Tourismus GmbH unter www.berlin-tourist-information.de und www.meet-in-berlin.de .

Doch auch der Tagesspiegel und der Nicolai-Verlag weisen seit einigen Jahren mit zwei Büchern, die sie gemeinsam herausgeben, den Weg ins unbekannte Berlin: „Geheime Orte in Berlin“ und „Geheime Orte für Kinder“. Sie verkaufen sich so rasch wie wenige lokale Titel – und setzen inzwischen die längste Serie des Tagesspiegels zwischen Buchdeckeln fort.

„Berlins Geheime Orte“ hatten wir diese Serie genannt. Von 1995 bis 2000 schob unsere Zeitung damit den Trend zu ungewöhnlichen Touren kräftig an. Wir stellten 80 geheime Orte jeweils im Lokalteil vor und organisierten Leser-Führungen dorthin. Tausende Berliner entdeckten so die versteckten Reize ihrer Stadt – und bekamen Lust auf Mehr.

Deshalb brachten wir beide Bücher heraus, mit deren Hilfe jeder auch alleine „seine“ Geheimnistour organisieren kann. Vor ein paar Tagen erschienen beide Bände in Neuauflagen – aktualisiert und ergänzt durch weitere Touren: beispielsweise ins Kinder-Chemielabor der Freien Universität oder ins Deutsche Rundfunk- und Fernseharchiv in Babelsberg.

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