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Berlin: Auf ins Nirwana

Immer mehr Berliner entdecken den Buddhismus. 80 Gruppen gibt es, 10000 Mitglieder sollen es sein. Viele wollen vor allem eines: mal abschalten

Mal die Augen schließen, die Ohren zustopfen, die Nase einziehen und den Mund verbarrikadieren. Was ist nun übrig von der Welt? Nichts. Eben. Wenn diese Übung auch ohne Verschließen der Sinnesorgane klappt, haben Sie die Buddhaschaft errungen. Jetzt mal stark vereinfacht gesprochen.

Klingeln bei Zen-Meister Young San Seong Do aus Korea, seit 1998 in einem Kreuzberger Hinterhof zu finden. Schülerin Na Teon Shim öffnet, bittet, vielleicht morgen wiederzukommen, da kommt ein energischer Ruf aus dem Hintergrund. Der Meister empfängt in seinem Tempel den unangemeldeten Besuch eines Menschen, von dem er gar nicht weiß, ob er existiert. Seong Do sitzt in einem großen Raum auf einem Kissen. Neben ihm ruht Buddha, deutlich erhöht auf einem Schrein. Der Boden ist mit Strohmatten ausgelegt.

Meister Seong Do erzählt von den vielen Menschen, die rastlos in der Welt umherirren und zweifelhafte Dinge tun. Es fehle ihnen der klare Geist. Er könne ihnen nur die Meditation empfehlen, das „Sitzen“, um den inneren Frieden zu finden, der dann unweigerlich zum äußeren Frieden führe. Mit intensiver Meditation ließen sich alle persönlichen Probleme abstellen, weil sich das Ego langsam auflöse. Soweit die Theorie.

Die Lehre Buddhas, entstanden vor 2500 Jahren, hat wieder Konjunktur, auch in Berlin. Rund 80 unterschiedliche Gruppen und Vereine existieren in der Stadt, und „alle haben wachsenden Zulauf“, sagt Sylvia Wetzel von der Deutschen Buddhistischen Union. In Berlin schätzt sie die Zahl aktiver Buddhisten zwischen 5000 und 10000, darunter sehr viele Akademiker. Buddhismus ist in Deutschland keine anerkannte Religion. Jeder kann einen Buddha-Zirkel aufmachen und seinen eigenen Weg zur Erleuchtung suchen. Deshalb beäugt man sich in der Szene eher skeptisch – Traditionalisten ärgern sich über Reformisten und umgekehrt. Einige mokieren sich auch über ihre Kunden: „Viele wollen doch nur das Instant-Nirwana, ein bisschen relaxen. Dabei muss man sich in der Meditation mit sich selbst beschäftigen. Das tut ja weh“, klagt ein Mönch.

Wieder ein Hinterhof. Diesmal in der Ackerstraße in Mitte. Etwas gehetzt kommt Buddhistin Rebekka vorbei, um endlich den Tempel des „Buddhistischen Zentrums Mitte“ aufzuschließen. Den gibt es erst seit einem Jahr, quasi als Ableger des Zentrums in Schöneberg, das aus allen Nähten platze. Es sind wieder ein paar Neue gekommen, zum Reinschnuppern. Markus, 23, Internet-Projektmanager, will zu sich selbst finden und dabei nicht irgendeinem Guru hinterherlaufen. Aus der Kirche ist er ausgetreten, weil sie ihm nichts mehr zu sagen hatte. Seine Freundin Heike, 31, Unternehmensberaterin, hat mal „Siddharta“ von Hesse gelesen. Dann war da noch ein Freund, der ihr alles erklärte. Gut findet sie beim Buddhismus, dass niemand angebetet wird, nicht mal Buddha. Selbstkritisch findet sie die Buddhisten, undogmatisch und aufgeschlossen, gerade auch für Frauen. Das hatte ihr in der katholischen Kirche doch sehr gefehlt.

Buddhistin Rebekka versammelt die Neuen um den Esstisch. Sie lächelt unsicher. „Ich bin jetzt gar nicht vorbereitet.“ Mit so viel Publikum hatte sie nicht gerechnet. Rebekka fängt einfach mal bei Buddha an. „Also, da kamen die ersten Schüler zu ihm...“ Störung: Die Türklingel geht. „Also, das Karma-Prinzip. Negative Ursache bringt negative Wirkung – irgendwann.“ Es naht Hilfe in Gestalt von Jutta. Die junge Diplom-Ingenieurin scheint ihre Buddha-Natur schon teilweise gefunden zu haben. Ihre Augen strahlen, ihr Gesicht leuchtet. Jutta erzählt von Lama Ole Nydahl, ihrem Lehrer, der zwar selten da ist, doch immer präsent. Vom 16. Karmapa und seinem „Diamantweg-Buddhismus“. Dass man wie eine große Familie sei.

Jutta bittet ins Nebenzimmer. Dort steht eine kleine Anrichte mit Buddha-Figuren. Der Boden ist mit granitgemusterten Schaumstoffmatten bedeckt. Das ist der Ort zum Einstieg ins Innenreich. Beim Meditieren geht es darum, „das durchsichtige Antlitz“ des 16.Karmapa zu entdecken. Im zweiten Teil kommen Geist reinigende Stimmübungen hinzu, zum Beispiel der bekannte Summlaut „ommmh“. Dazwischen Stille. Nach der Meditation fragt Markus, ob er mal ein Foto vom 16. Karmapa sehen könne.

Bei Zen-Meister Seong Do folgen die wöchentlichen Meditationen für jedermann einem strengen Ritus. Nach einer halben Stunde Sitzen und Schweigen weckt er seine Zöglinge mit lautem Stockschlagen aus der Ruhephase. Es folgt eine Zen-Belehrung, in deren Verlauf Seong Do seine Fragen nach Schulmeisterart hinausruft und bei fehlerhafter Antwort mal 30, mal 60 Stockschläge androht. Gleich danach lacht er wieder. Auch im Zen-Buddhismus hat die antiautoritäre Erziehung längst Fuß gefasst.

„Das sind nur Provokationen“, sagt Kurt, Seong Dos Schüler und Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Bei der Meditation sitzt er in Anzug und Schlips zwischen den Mönchen. Vor drei Jahren traf er den Meister und fand in ihm eine spirituelle Ergänzung zur buddhistischen Philosophie, mit der er sich schon lange beschäftigt. Kurt vergleicht die Meditation mit einem interessanten Spiel, dessen Ausgang er nicht kennt. Er sei einfach neugierig auf das, was mit ihm passiert. Seong Do spricht von Kurt sehr anerkennend. Immerhin hat er schon mal die Zen-Praxis der 1080 Niederwerfungen vor Buddha mitgemacht. Dauer: zwei Stunden. Das ist spiritueller Hochleistungssport.

International Zen-Temple, Kreuzberg, Oranienstr.22, Tel. 61658205. Buddhistisches Zentrum Mitte, Ackerstraße14-15, Tel. 24342544. Buddhistisches Zentrum Berlin, Schöneberg, Grunewaldstr. 18, Tel. 7870 4213. Buddhistisches Haus, Frohnau, Edelhofdamm 54, Tel. 401 5580. Weitere Informationen im Internet unter www.buddhismus-bb.de

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