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Berlin: Auf Sand gebaut

Strandbad Berlin: Auf dem Schlossplatz treffen sich die Beachvolleyballer, an der Spree die Burgenbauer und Cocktailschlürfer. Dafür wurden Berge versetzt.

Leise rieselt der Sand: Genau 97 Lastwagen, jeder von ihnen bis zu 14 Meter lang, waren nötig, um 2500 Tonnen strahlend weißen Sand vom brandenburgischen Teschendorf fürs Beachvolleyball-Turnier nach Mitte zu transportieren. „Jetzt müssen die Ladungen nur noch verteilt und planiert werden“, sagt Siegbert Brutschin, Organisationschef des Strandsport-Events am nächsten und übernächsten Wochenende. Acht Felder entstehen auf dem Asphalt des Schlossplatzes, jedes mit einer mindestens 40-Zentimeter-Sandschicht – ein komfortabler Untergrund zum Pritschen, Baggern und Schmettern.

Und ein sandiges Vergnügen. In früheren Jahrhunderten nutzten die Großstädter mit Vorliebe aber noch heimischen Sand, Lehm und Mergel, und zwar eher aus praktischen Erwägungen: Um 1900 verkauften Händler den Aushub der Rehberge als Streu- und Putzmittel. Mitte der 70er Jahre schüttete man Sand aus den Schächten im U-Bahnbau in die Buddelkisten auf Berlins Kinderspielplätzen.

Allein beim Bau des Potsdamer Platzes wurden über sechs Millionen Tonnen ausgehoben, zwischengelagert und später für den Autobahnbau oder als Dammschüttung verkauft. Auf solche Erdhügel an den Baugruben der Stadt achten auch die Mitarbeiter des Zoologischen Gartens. Sie fragen dann die Arbeiter, ob man die Reste womöglich günstig erstehen könne. „Wir brauchen hier im Wirtschaftshof immer einen Vorrat von 500 Kubikmeter Sand, das ist Nachschub für die Tiergehege“ , sagt der Bauleiter des Zoologischen Gartens, Detlef Schneider. Zwischendurch, vor den Sparzwangzeiten, kam der Sand für Volieren auch mal von der Ostsee.

Mit jenem groben Gut können allerdings jene nichts anfangen, die ihren Sand zum Spaß in der Stadt verstreuen. Die Leute vom Sandburgen-Festival „Sandsations“ etwa, die ihre Körner-Kunst bis 20. Juli an der East Side Gallery präsentieren. „Unser Sand muss möglichst eckige Körner haben, einen hohen Lehmgehalt besitzen, damit er gut haftet – und eine goldgelbe Farbe“, erzählt Honne Dohrmann, einer der Mitorganisatoren. Regen mache den Skulpturen dann nichts aus. Es wurden also diverse Proben genommen. „Niederlehme erhielt den Zuschlag“.

Das rieselnde Accessoire von Biergärten, Cafés und Kneipen muss weniger Qualitätskontrollen bestehen. Hauptsache, es sieht schön nach Urlaub aus. Die Leute vom „Bundespressestrand“ gegenüber dem Reichstag haben ihren Untergrund von der Ostsee an die Spree gekarrt. Dank Liegestühlen und Sonnenschirmen stellt sich auch an der „Strandbar“ in Mitte das Feriengefühl ein: Im Monbijou-Park kann man das Glas heben, Passagieren auf den Ausflugsschiffen zuprosten – und den Sand schön durch die Zehen rieseln lassen. Nordafrikaner lassen die Körnchen übrigens erst durch die Finger rieseln, drücken dann mit Daumen und Zeigefinger Lochreihen hinein – und sagen so die Zukunft voraus. In Japan schätzt man gar das Baden im Sand: Ein solches „Sunamushiburo“ wecke die Lebensgeister.

In Berlin haben die besondere Wirkung des Sandes wohl die Betreiber des legendären „Slumberland“ am Winterfeldtplatz entdeckt – frei nach dem Hausbesetzer-Slogan: Unterm Pflaster liegt der Strand. Auch heute noch schlurft man dort durch feine Körnchen, nur ab und an knirscht eine Scherbe unter der Sohle, wenn mal wieder etwas zu heftig gefeiert wurde. Andere haben das nachgemacht. Die Cocktailbar „Part 2“ an der Uhlandstraße etwa, und das „Coma“ in der Detmolder Straße. Sicherheitshalber hängen hier Schilder an der Wand: Vorsicht, wenn Eltern mit Kindern kommen. Denn die Kleinen fangen immer gleich an zu buddeln – und fördern am Boden auch Zigarettenstummel und Bierdeckel zutage.

Mitunter erfüllt Sand aber auch einen ganz anderen Zweck. Einen würdigen, einen ehrenvollen. Bei Beerdigungen, wenn Freunde und Verwandte eine Schippe streuen. Manchmal wird auch dieses Gut extra in die Stadt transportiert. Etwa für die Beisetzung von Günter Pfitzmann. „Pfitze“ bekam einen letzten Gruß von seiner Lieblingsinsel mit ins Grab: Sand aus Sylt.

Annette Kögel

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