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Berlin: Auf verschlungenen Wegen durch Frau Holles Garten Tanja Wekwerth wanderte

über Herbstwiesen nach Stolpe

Stolpe. Früher klang das nach nicht mehr als einem trostlosen Grenzübergang. Man sah zu, dass man weiter kam, mit klammem Gefühl, und wer wusste schon von dem idyllischen Dörfchen Stolpe, das dahinter lag, eingebettet in Bilderbuchwiesen?

Eine uralte, sandige Kastanienallee führt hier hin, zwischen wogendem Grasland und den Stolper Reitschulweiden hindurch, schnurgerade von Hohen Neuendorf nach Stolpe. Sehr malerisch und ehrwürdig ist diese Straße. Aber es sind die vielen schmalen Wege daneben, nicht mehr als Trampelpfade durch wild blühende Wiesen, die einen besonderen Zauber haben und das Kind in mir wecken. Froh wandere ich auf Schlangenpfaden, und plötzlich ist der Himmel so nah. Hinter Pflaumen- und Mirabellenbüschen entdecke ich einen geheimnisvoll verwilderten Garten, voll von Obstbäumen und Hagebuttenbüschen. Wo bin ich? Auf den Wiesen von Frau Holle, so kommt es mir vor. Sollte ich einen Apfelbaum schütteln? Die Holunderbäume tragen schwer an ihren Dolden. Man könnte sie ernten und Hollersirup daraus machen. Im Sommer hatte ich mich mit den Kindern unter die reich tragenden Kirschbäume gestellt, die lange keinem mehr gehören, und lachend haben wir uns rote Münder gefuttert, und unter jedem Baum schmeckte es anders: hier etwas bitter, dort süß-sauer. Wie im Schlaraffenland.

Dann ging’s weiter über kurvige Pfade. „Warum schlängeln sich Wege?“, frage ich mich hier immer. Ich habe mal gelesen, dass Menschen und Tiere seit Jahrhunderten intuitiv den Kraftachsen der Erde folgen – eine schöne Vorstellung: So tanke ich mit jedem Schritt neue Energien. „Der Weg ist das Ziel!", sagt der Weise, so auch hier, denn viele Wege kreuzen sich. Einige führen ins Nichts, andere in eine verfallene Scheune, verlieren sich im Gras oder gelangen zu einer befahrenen Straße, die dem Zauber ein rasches Ende bereitet.

Doch einer dieser Wege schlängelt sich zurück, durch Frau Holles Garten, auf die schnurgerade Kastanienallee zu, die in Stolpes holperiger Dorfstraße mündet. Hier ist die Zeit stehen geblieben. Hinter der alten Kirche ruht ein Friedhof, in den Vorgärten der Bauernhäuser (viele davon geschmackvoll saniert) leuchten Dahlien, späte Rosen und verblühende Sonnenblumen. Der „Dorfkrug“ lädt zur Pause ein, auch die „Krumme Linde“ ist ein gemütliches Landgasthaus, und tatsächlich steht eine krumme Linde davor. Ich setze mich, trinke eine Tasse Kaffee, auf der Aue rauschen Walnussbäume, ein Hahn kräht. Ich genieße die friedvolle Atmosphäre und freue mich auf den Rückweg.

Tanja Wekwerth

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