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Es schimmert noch etwas durch. Im heutigen Landtag Brandenburgs saß bis zur Wende die SED-Bezirksleitung Potsdam.

© Andreas Klaer

Aufarbeitung in Brandenburg: Die DDR hat alle eingeholt

Die Geschichte der SED-Diktatur wirft lange Schatten auf Brandenburgs Parteienlandschaft. Eine Enquete-Kommission des Landtags beleuchtet ihre Versäumnisse nun in einem Gutachten. Die wichtigsten Ergebnisse.

SPD: Zurückhaltung wegen Stolpe

Brandenburgs SPD, die aus der 1989 gegründeten oppositionellen, regimekritischen SDP hervorgegangen war, hatte wegen der Stasi-Kontakte des langjährigen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe seit Alleinherrschaft ab 1994 kein Interesse an einer Aufarbeitung der SED-Diktatur. Das ist der Kernbefund des Gutachtens zur SPD, die Ehrhart Neubert, Theologe und früherer DDR-Oppositioneller, untersucht hat. „Die Brandenburger SPD hielt sich mit der praktischen Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur nach 1995 sehr zurück.“ Hauptgrund sei der Streit „um Stolpes Vergangenheit“, der in der SPD „tiefe Spuren hinterlassen“ habe.

Zwar habe SPD-Chef Matthias Platzeck Fehler eingestanden. Doch bis heute würden führende Politiker erklären, dass es eine „Kampagne“ gegen den damaligen Ministerpräsidenten wegen seiner Stasi–Verbindungen gab – der DDR-Geheimdienst hatte den Kirchendiplomaten als IM „Sekretär“ geführt. „Sie sehen Stolpe und die SPD als Opfer einer instrumentalisierten Aufarbeitungsdebatte, in der es eigentlich um eine machtpolitische Auseinandersetzung gegangen wäre“, wie Gutachter Neubert weiter ausführt. Er verweist darauf, dass die Stolpe-Debatte Auswirkungen auf die „Vergangenheitspolitik“ der Brandenburger Regierung hatte. „Es kam zur Verunklarung und zur Uneinheitlichkeit der Kriterien zur Bewertung von IM-Tätigkeiten. MfS-Kontakte konnten als Normalität dargestellt werden.“

Neubert verweist auf ein „Argumentationsmuster“, das „zur Konstruktion einer Kollektivbiografie der Ostdeutschen führte, die gleichsam als Opfer westdeutscher Aufarbeitungsinteressen hingestellt wurden“. So seien „die Belasteten, die Täter“ zu Opfern der Aufarbeitung erklärt worden. Der Preis des „Brandenburger Weges“, dieser „Harmonie“ sei etwa der „Totalausfall“ der Stasi–Überprüfungen im Landtag gewesen. Stolpe habe in seiner Selbstverteidigung „meisterlich“ mit und zwischen altem und neuem Wertesystem beim Übergang von Diktatur zur Demokratie „jongliert“. Aus seiner Sicht habe er Normen verletzt, um die Normen zu retten. „In der Diktatur nahm er die Rolle des Schuftes, des Scheinschuftes ein und konnte darin nachträglich als Held, als beinahe verkannter Held gesehen werden“, schreibt Neubert über den Fall des Ex-Ministerpräsidenten.

So sei der Skandal, der verschiedene Dramatisierungsphasen hatte, etwa Aktenfunde zur Verleihung der DDR-Verdienstmedaille an Stolpe, in sich zusammengebrochen. „Er schaukelte sich auf, aber es gab keine Konsequenzen, keinen Rücktritt.“ Eine gesellschaftliche Mehrheit habe „nichts Verwerfliches, nichts Verstörendes“ gesehen. „Der Typ des Skandals, bei dem jemand das Falsche um des Richtigen willen tat, war in der Übergangszeit möglich.“

Lesen Sie auf Seite Zwei, wie die CDU mit ihrer Rolle als Block-Partei in der DDR umgeht.

CDU: Die Rolle als Blockpartei ausgeblendet

Brandenburgs Christdemokraten haben sich bislang völlig unzureichend mit der eigenen Rolle als Blockpartei in der SED-Diktatur auseinandergesetzt. Zudem agierte die Partei im Umgang mit „Altlasten“ in den eigenen Reihen oft eher taktisch denn prinzipiell. So lautet der Befund des Berliner Historikers Christoph Wunnicke über die CDU. Konstatiert wird im Gutachten aber auch, dass sich die Union als „Gesamtpartei sukzessiv“ auf klaren „Anti-Stasi-Kurs“ festgelegt habe, an dem sie bis heute festhält. Und auch, dass es in der Landtagsfraktion seit 2009 und im Landesvorstand keine früheren Blockparteimitglieder mehr gibt.

Doch im selbstkritischen offenen Umgang mit der eigenen Geschichte herrscht laut Gutachten - in dem in einer Fußnote zudem eine „ausbleibende Zuarbeit“ der CDU für das Gutachten kritisiert wird - bei der Union eindeutig Fehlanzeige. „Die Bundes-CDU wie auch ihr Landesverband Brandenburg haben sich 20 Jahre nach der Deutschen Einheit nicht vollumfänglich um die Aufarbeitung der Geschichte der DDR-CDU in den letzten Jahrzehnten der DDR bemüht.“ Ehemalige Blockparteipolitiker „können in der brandenburgischen CDU mit Verständnis für ihre Rolle in der DDR rechnen“. Andererseits werde „im Fall eines politischen Konflikts ihre Vergangenheit gegen sie instrumentalisiert.“ Beispiel sei der frühere Landeschef und Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns, der Funktionär der Bauernpartei war und noch 1989 die Mauer verteidigt hatte, was ihm im innerparteilichen Machtkampf 2007 vorgehalten wurde. In seiner 80-Seiten–Expertise zur CDU macht Wunnicke jedenfalls für  Versäumnisse nicht allein Politiker wie den ersten Chef der Landtagsfraktion und letzten DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel verantwortlich, der nach 1990 den „Brandenburger Weg“ mitgegangen war. Nach seinem Gutachten haben auch die frühere Landesvorsitzende Johanna Wanka oder der heutige Generalsekretär Dieter Dombrowski, der als politisch Verfolgter in Stasi-Haft saß, keine Aktivitäten in dieser Frage erkennen lassen. Auch Parteichefin Johanna Wanka, so das Gutachten, „tat nichts öffentlich Nachvollziehbares für die Aufarbeitung der Geschichte der CDU“. Und Dombrowski habe zwar in Häftlingsuniform 2009 der Vereidigung der rot-roten Regierung beigewohnt, aber nichts zur Aufklärung getan, wie CDU-Mitglieder vor 1989 an der Bespitzelung von Oppositionellen beteiligt gewesen seien.

Wunnicke kritisiert, dass die Union zwar nach dem Streit um die Stasi-Verbindungen Stolpes seinen Rücktritt forderte, aber im ähnlich gelagerten Fall ihres früheren Landesvorsitzenden Lothar de Maiziére anders agierte. „Eine ähnliche Aktenlage wie im Fall Stolpe führt die brandenburgische CDU zu einer anderen Bewertung seiner Verstrickungen.“

Ebenso „zwiespältig“ ist laut Gutachten der Umgang mit früheren SED-Mitgliedern in den eigenen Reihen wie auch mit der Linkspartei. Verboten sei bei Bündnissen der CDU in Kommunen „nicht die Kooperation mit der Partei Die Linke, sondern deren schriftliche Fixierung.“ Das aber sei eine „Absurdität“.

Lesen Sie auf Seite Drei, wie die SED-Nachfolgerin, die Linke, ihre Vergangenheit aufarbeitet.

Linke ging offen mit ihrer Geschichte um

Brandenburgs Linke, deren Vorgänger vor 1989 die SED als frühere DDR-Staatspartei war und die seit der rot-roten Regierungsbildung besonders wegen der Vergangenheit und Stasi-Enthüllungen in der Landtagsfraktion in die Kritik geriet, bekommt im Gutachten bemerkenswert gute Noten – zumindest für den Umgang mit der eigenen Geschichte. „Die PDS/Linke ging und geht offen mit ihrer DDR-Vergangenheit um“, heißt es in der Expertise, die der Historiker Mario Niemann vom Historischen Institut in Rostock erstellt hat. Zwar hat die Linke danach in den letzten zwanzig Jahren mit 11 von 57 Parlamentariern den innerhalb des Parlamentes größten Anteil von früheren Stasi-Spitzeln in ihren Reihen. Und mit 27 Abgeordneten seien auch so viele wie in keiner anderen Fraktion besonders systemtragend „als Nomenklaturkader, Partei- und Staatsfunktionäre oder systemtreue Intellektuelle“ gewesen.

Doch die Partei habe sich nach 1990 intensiv und selbstkritisch mit der eigenen Geschichte und Mitverantwortung für die SED-Diktatur befasst, in innerparteilichen Debatten, Kommissionen und Broschüren, attestiert das Gutachten. Und unter dem Druck von Rot-Rot wurde dies offenbar noch forciert, meint Niemann. „Im Oktober 2009 stimmten erstmals auch die Linken für eine Überprüfung der Landtagsabgeordneten auf eine Tätigkeit für das MfS“, heißt es. „Dies kennzeichnet einen Paradigmenwechsel, der auch in der Zustimmung, einen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zu bestellen, zum Ausdruck kommt.“ Hervorgehoben wird ausdrücklich, dass die nach 2009 in der Landtagsfraktion enttarnten früheren inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter Rüdiger Hoffmann und Renate Adolph „wegen Nichteinhaltung des Offenlegungsbeschlusses der PDS von 1991“ – er verpflichtet Genossen vor Kandidaturen für öffentliche Ämter zur Offenlegung früherer Stasi–Verbindungen – die Landtagsfraktion verlassen mussten. Andere frühere IM-Verstrickungen, etwa die von Fraktionschefin Kerstin Kaiser oder Landeschef Thomas Nord, waren seit Anfang der 90er Jahre bekannt. Laut Gutachten war innerhalb der Linken der Umgang mit solchen Verstrickungen sehr unterschiedlich. „Einige gehen seit Anfang der 90er Jahre offen damit um, andere haben sie anhaltend verschwiegen“, heißt es, und einschränkend: „Die Entdeckung von MfS-Kontakten führte nur in wenigen Fällen dazu, dass die zuständigen Parteigremien das Vertrauen entzogen und Funktionen und Mandate abgegeben werden mussten.“ Adolph hatte ihr Landtagsmandat zurückgegeben, Hoffmann ist fraktionsloser Linke-Abgeordneter im Landtag. Die „hämische Behauptung“ jedenfalls, dass es für die brandenburgische Linke zum guten Ton gehöre, Stasi-belastet zu sein, schreibt der Gutachter, „ignoriert den mittlerweile erreichten Umgang der Linkspartei mit der Vergangenheit“.

Lesen Sie auf Seite Vier, warum die Grünen erst spät zu Einsichten kamen.

Grüne: Späte Einsichten

„Späte Einsichten“ lautet eine Überschrift. Auch von den Grünen „gingen in den Jahren vor dem Wiedereinzug in den Landtag kaum vergangenheitspolitische Impulse aus“, heißt es im Gutachten. Und: „Die Bürgerbewegung in Brandenburg, soweit es sie noch gab, brauchte Zeit, um zu dem Thema zurückzukommen, dem sie einst ihre Entstehung verdankte.“ Das hängt zusammen mit der komplizierten Nachwende-Geschichte des aus der Bürgerrechtsbewegung entstandenen Bündnis 90, das später teilweise bei den Grünen aufging. Zwischen 1990 und 1994 im Landtag hatte Bündnis 90 – Günter Nooke (heute CDU), Matthias Platzeck (heute SPD) und Marianne Birthler (Grüne) waren die prominenten Namen – in der damaligen Ampel-Koalition mit SPD und FDP unter Manfred Stolpe regiert, bis es zum Bruch wegen Stolpes Stasi-Kontakten kam.

Probleme mit der Vergangenheit hatte das Bündnis 90 auch selbst. Es gab 1991 zwei Stasi-Fälle in der Landtagsfraktion. Beide Abgeordnete mussten ihr Mandat niederlegen. Es waren damals die einzigen Konsequenzen der Stasi-Überprüfung im Landtag. Es waren auch die einzigen Empfehlungen für eine Mandatsniederlegung bei der offiziellen Landtagsüberprüfung über die kirchlichen Vertrauenspersonen,  bei der es massive Ungereimtheiten gab. Trotzdem war laut Gutachten das Agieren widersprüchlich. Einerseits habe  Birthler, die später Stasi-Beauftragte wurde, als Bildungsministerin für eine klare Überprüfung der Lehrerschaft gesorgt. Wegen des Falls Stolpe trat sie als Ministerin zurück, auch Nooke zog eine klare Linie. Doch zugleich habe der Landesvorstand von Bündnis 90 seine Mitglieder nie auf Stasi-Zusammenarbeit überprüfen lassen. Dabei habe „auch Bündnis 90, später Bündnis 90/Die Grünen“, unmittelbar nach der friedlichen Revolution „eine hohe Anzahl ehemaliger Systemträger in ihren Reihen“ aufgewiesen. Erwähnt wird etwa Peter Schüler, damals im Landtag tätig, heute Stadtpräsident in Potsdam, der sogar Mitglied der SED-Kreisleitung war. Seit dem Einzug in den Landtag 2009 fänden sich sowohl im Landesvorstand als auch in der Grünen-Fraktion keine ehemaligen DDR-Systemträger.

Lesen Sie auf der fünften Seite, wie die FDP ihre DDR-Geschichte behandelt.

FDP: Nachsichtig und verschwiegen

Brandenburgs Liberale, die aus den Blockparteien „LDPD“ und „NDPD“ hervorgegangen waren und in der Ampel von 1990 bis 1994 mit SPD und Bündnis 90 regierten, haben ihre Vergangenheit als Blockpartei ungenügend aufgearbeitet – und selbst Versäumnisse im Umgang mit der SED-Diktatur. „Die FDP ähnelte in ihrer Behandlung von Stasi-Verstrickungen dem ersten CDU-Fraktionschef Peter Michael Diestel“, heißt es im Gutachten. „Sie war sowohl nachsichtig mit den Verstrickungen in den eigenen Reihen als auch mit denen des Ministerpräsidenten Stolpe.“ Während sich die brandenburgische CDU innerhalb der Bundespartei „mit ihrer MfS-Freundlichkeit unbeliebt machte, trug der westdeutsche Hinrich Enderlein das Verständnis für die Verstrickungen Manfred Stolpes sogar in die Bundespartei hinein“. Enderlein, heute FDP-Ehrenvorsitzender, war damals Parteichef, Wissenschafts - und Kulturminister im Land. Er hat sich immer hinter Stolpe gestellt und aktuell die Neuauflage der Debatte und die Enquete-Kommission öffentlich kritisiert. Nach dem Bruch der Ampel hatte die FDP in einer Minderheitenregierung mit der SPD weiterregiert. Der FDP war die eigene Rolle vor 1989 im Grunde völlig egal, heißt es. „Die FDP führt im Gegensatz zur CDU auch nicht im innerparteilichen Konfliktfall einen öffentlich nachweisbaren Diskurs über die Mitverantwortung ehemaliger LDPD- und NDPD-Mitglieder an der SED-Diktatur.“ Die Mitverantwortung habe sie „nicht aufgearbeitet“. Zudem würden auch FDP-Politiker in Brandenburg ihre Mitgliedschaft in früheren Blockparteien „verschweigen.“

Zu eigenen Stasi-Fällen hat die FDP laut Gutachten bislang keine klare Linie. Verwiesen wird etwa auf den widersprüchlichen Umgang mit dem früheren Fraktionschef und Landesschatzmeister Rainer Siebert, der 2010 seinen Hut nehmen musste, was in der Basis auf Kritik stieß. Insgesamt gibt es mit der neuen FDP-Führung aber, so ein Fazit, einen Elitenwechsel. Mit Fraktionschef Andreas Büttner und Parteichef Gregor Beyer seien „erstmalig in Brandenburg beide Spitzenämter einer im Landtag vertretenen Partei gleichzeitig in der Hand westdeutscher Politiker“.

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