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Aufenthaltsgesetz: Blauer Brief von der Behörde

Berlins Neuinterpretation des Aufenthaltsgesetzes soll "Anreize schaffen, eine Ausbildung zu absolvieren". Wie? Indem ausländische Schulversager künftig mit der Abschiebung rechnen müssen. Kein anderes Bundesland legt das Gesetz so rigide aus.

Einem 21-jährigen Türken mit Hauptschulabschluss drohte die Berliner Ausländerbehörde mit der Abschiebung, weil er von Hartz IV lebte. Einem iranischen Gymnasiasten verwehrte die Behörde die dauerhafte Aufenthaltserlaubnis, weil er die zwölfte Klasse wiederholen muss. Ob ausländische, hier aufgewachsene Jugendliche in Berlin bleiben können oder nicht, macht die Ausländerbehörde seit kurzem auch vom Erfolg in der Schule abhängig. Im März erlassene neue „Anwendungshinweise“ zum Aufenthaltsgesetz sind die Grundlage.

Wer keinen Schulabschluss hat, dem kann es jetzt passieren, dass die befristete Aufenthaltserlaubnis nicht mehr verlängert wird. Die Konsequenz ist theoretisch die Abschiebung. Das sei keine Drohung, sagte der Staatssekretär der Innenverwaltung, der die Ausländerbehörde untersteht, „sondern das Prinzip Fordern und Fördern“. Man wolle für die Menschen „Anreize schaffen, eine Ausbildung zu absolvieren“. Im Übrigen würden die Schulen die neuen Bestimmungen begrüßen, da die Lehrer mit ihren Mitteln nicht mehr weitergekommen seien, um Jugendlichen Druck zum Lernen zu machen. In Berlin leben zur Zeit 16 400 Jugendliche zwischen 16 und 25 Jahren ohne deutschen Pass. Jährlich verlassen rund 1000 ausländische Schulabgänger die Schule ohne Abschluss.

Praktisch wird es wahrscheinlich auch aufgrund der neuen Vorschriften zu keiner Abschiebung eines Jugendlichen kommen; die Innenverwaltung verweist auf „humanitäre Gründe“, die die Abschiebung verhindern könnten. Außerdem habe der Jugendliche die Möglichkeit, versäumte Bemühungen um einen Schulabschluss, einen Ausbildungsplatz oder einen Job nachzuholen.

Den Jugendlichen Druck  machen

Berlin hat mit seiner Neuinterpretation des Aufenthaltsgesetzes bundesweit Aufregung verursacht, denn kein anderes Bundesland geht in seinen Prüfkriterien so weit. „Die Bildungsfrage und die Berufstätigkeit spielt in Bayern höchstens bei der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis für einen Serienstraftäter eine Rolle“, sagt Hubert Heinhold, ein in München tätiger Anwalt im Ausländerrecht. Die Berliner Ausländerbehörde argumentiert, dass sie dem Land Berlin Kosten ersparen wolle, indem sie den Aufenthalt eines Jugendlichen beende, der von Hartz IV lebe. Ein Jurist aus dem niedersächsischen Innenministerium gibt zu bedenken, dass es im Aufenthaltsgesetz durchaus angelegt sei, dass man ausländischen Jugendlichen, die hierbleiben wollen, Druck mache, eine Arbeit zu finden. Bislang habe man die Frage des Bildungsganges in Niedersachsen aber auch nicht berücksichtigt, anders als in Berlin habe man auch kaum problematische ausländische Schulversager. Den Jugendlichen Druck zu machen, hält er für eine gute Idee. Das CDU-geführte Niedersachsen sollte sich an Berlin ein Beispiel nehmen.

Auch die Berliner CDU findet die Linie der Ausländerbehörde grundsätzlich richtig. „Wo es notwendig ist, muss Druck ausgeübt werden, gerade auf die Schulschwänzer“, sagt der CDU-Abgeordnete Kurt Wansner. Gleichzeitig müssten aber die Bildungschancen verbessert werden. Die Linke, die Grünen, der Flüchtlingsrat, der Integrationsbeauftragte des Senats und kirchliche Institutionen kritisieren die neuen Richtlinien scharf. Jugendliche müssten gefördert, notfalls gedrängt werden, um einen Schulabschluss zu erlangen, sagen die Linken und die Grünen, aber dies sei keine Aufgabe der Ausländerbehörde. Sie fordern, die umstrittenen Bestimmungen zurückzuziehen. „Da sollen über das Ausländerrecht Missstände korrigiert werden, die in der Bildungspolitik versäumt wurden“, sagt der Integrationsbeauftragte Günter Piening. Wenn die Jugendlichen damit rechnen müssen, dass ihre Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert werde, bringe das mehr Unsicherheit mit sich. „Dabei wäre es wichtig, ihnen gerade in der Phase der Identitätsfindung eine feste Perspektive zu geben“, sagt Piening. „Die Jugendlichen sind hier geboren, trotzdem vermittelt man ihnen immer wieder den Eindruck, ihr gehört nicht dazu und könnt abgeschoben werden“, kritisiert die Berliner Ausländerrechtsanwältin Berenice Böhlo. „Ich glaube nicht, dass das die Integration fördert.“

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