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Berlin: Aus dem Takt

Wegen der Flut haben Fahrgäste keinen Anschluss in Richtung Sachsen – zudem sind Bauprojekte in Berlin gefährdet

Von Christian van Lessen

Im Bahnhof Zoo zeigte sich gestern, dass die Bahn und viele ihrer Fahrgäste wegen der Hochwasserkatastrophe im Ausnahmezustand sind. Züge fuhren nicht oder wurden umgeleitet, die Anzeigetafel kündigte Züge an, die gar nicht fuhren und nach Leipzig waren nur noch Busse im Einsatz. Bahnchef Hartmut Mehdorn hat ausgerechnet, dass der Konzern für die Reparatur von Strecken und Bahnhöfen mindestens eine halbe Milliarde Euro ausgeben muss, und Konzernsprecher Werner Klingberg wollte gestern Auswirkungen auf kleinere und mittlere Bauprojekte des Unternehmens in Berlin und Brandenburg nicht ausschließen. Da könnte sich das eine oder andere möglicherweise verzögern. Bei Großprojekten wie dem Lehrter Bahnhof sei dies gegenwärtig nicht vorstellbar. „Es wäre falsch, sie zu stoppen“.

Aber die Bahn muss rechnen, und sie rechnet fest damit, dass ihr der Bund bei der Bewältigung der immensen Schäden hilft. Sonst wird es knapp. Der Lehrter Bahnhof wirkt vor dem Hintergrund verwüsteter Bahnanlagen wie ein Projekt vom anderen Stern. Das Bauwerk soll nach der bisherigen Planung möglichst 2006 fertiggestellt sein, seine Kosten sind etwa so hoch wie die bislang ermittelten Hochwasserschäden der Bahn. „Es ist eine neue, völlig überraschende Situation“, kommentierte Klingberg die Lage. Bevor man definitive Aussagen über Investitionen äußern könne, müsse erst das ganze Ausmaß der Schäden ermittelt sein.

Gestern gelangen beispielsweise nach weiteren Streckenausfällen neue Hiobsbotschaften in die Berliner Konzernzentrale. Man müsse sich mit den Mitarbeitern aus ganz Deutschland auf den Wiederaufbau konzentrieren, hieß es. Klingberg sprach von einem noch nicht absehbaren Ausnahmezustand. Den bekommen die Fahrgäste mit: Allein der Berlin-Bahnverkehr ist stark beeinträchtigt, aber die Anzeigetafel im Bahnhof Zoo gaukelte gestern Fahrgästen bisweilen eine heile Welt vor. Da kündigte sie beispielsweise einen Zug nach Prag an, das seit Tagen nicht zu erreichen ist, und so freuten sich tschechische Toursiten zu früh. Die Verbindung ist weiterhin gekappt, die Euro-City-Linie 7 aus Hamburg zwischen Berlin und Prag eingestellt, Ersatzzüge pendeln zwischen Berlin-Ostbahnhof und Dresden-Neustadt. Wer von Berlin wirklich nach Prag wollte, musste dies über Nürnberg versuchen. Fahrgästen, die nach Leipzig wollten, rieten Bahnmitarbeiter, sich die Sache noch einmal zu überlegen. „Bleiben Sie lieber hier!“ Man könne nur Busse einsetzen, die Fahrer aber wüssten nicht, ob sie direkt auf der inzwischen überfluteten Autobahn fahren sollten oder den Umweg über Magdeburg nehmen sollten. Dann erfuhren die Fahrer des gecharterten Busunternehmens aus Lieberose, dass die Autobahn doch befahrbar war, stellenweise einspurig.

Viele Fahrgäste in den Bussen, vor allem ältere Menschen, wirken schon vor der Abfahrt vom Hardenbergplatz erschöpft. Die Busse mussten eingesetzt werden, weil die ICE-Linie 8 von Hamburg nach München zwischen Berlin und Leipzig unter Wasser steht. So hatten die Fahrgäste mit erheblichen Verzögerungen zu rechnen. Eingestellt wurde auch die InterRegio-Linie 34 von Berlin über Riesa nach Chemnitz. „Nicht akut bedroht“ waren nach Angaben der Bahn dagegen die „Ost-West-Korridore“ im Raum Magdeburg sowie die Schnellfahrstrecke Berlin-Hannover. Hans-Georg Kusznir, zuständig für die Fahrpläne, lobte gestern das Verständnis der Fahrgäste.

Tatsächlich hielt sich das Schimpfen in der Halle und auf den Bahnsteigen in Grenzen. Allerdings herrschte oft Verwirrung über die Anzeigetafel. Und auch den Bussen, die auf dem Hardenbergplatz für den „Schienenersatzverkehr“ nach Leipzig bereitstanden, hätte ein Schild mit dem Zielort gut getan.

So irrten Fahrgäste zwischen Bahnhof und Vorplatz hin und her, vor den Auskunftsstellen bildeten sich Schlangen, die Busfahrer diskutiererten, welche Routen sie fahren sollten. Und oben auf dem Bahnsteig freuten sich Leute, dass sie mit Wuppertal ein harmloses Reiseziel ausgesucht hatten.

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