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Wege zum Verbrechen. Tatortbilder gibt es auch auf dem Bildschirm. Foto: Davids

© DAVIDS

Berlin: Ausflug ins Leichenschauhaus

Eine neue Videobustour präsentiert Berlin als die „Hauptstadt des Verbrechens“

„Die Tafel ,Leichenschauhaus geöffnet’ ist eine Einladung. Kutscher steigen ab, ihr Gefährt auf der Straße stehenlassend, Schulkinder versuchen einzudringen, aus den Geschäften und Häusern holt der Nachbar den Nachbarn zur unentgeltlichen Schaustellung.“ Noch 1925 war das polizeiliche Leichenschauhaus in der Hannoverschen Straße 6 eine Attraktion für Einheimische und Touristen. „Wie der Raubtierpavillon des Zoologischen Gartens“ erschien dem Reporter Egon Erwin Kisch der zentrale Raum mit seinen sieben Abteilungen, in denen jeweils zwei unidentifizierte Leichen durch ein Ventilatoren- und Röhrensystem „mit eisiger ammoniakkomprimierter Luft frisch erhalten“ wurden.

Noch in den fünfziger Jahren sollen Taxifahrer gelegentlich gebeten worden sein, man möge sie zu diesem Gruselort chauffieren, der da längst geschlossen war. Heute benötigt man schon historische Fotos, um die Atmosphäre von damals halbwegs vorstellbar zu machen. Alexander Vogel von „Zeitreisen“ hat gleich mehrere dabei, Anschauungsmaterial für die Teilnehmer der neuen, zweieinhalb Stunden dauernden Videobustour „Hauptstadt des Verbrechens“, mit der die Agentur auf die dunkle Seite der Berliner Geschichte locken will – zum Beispiel ins alte Leichenschauhaus in Mitte, nunmehr ohne Leichen.

Doch das hufeisenförmige Gebäude von 1886, die Seitenflügel verbrechensfern von der Humboldt-Uni genutzt, der gruselige Mitteltrakt leerstehend und mit dringlichem Sanierungsbedarf, hat auch so morbiden Charme, durch die Reste der Leichenguckkästen im Hochparterre und die kurz nach der Wende eingebauten Kühlkammern im Keller. Bis 2005 war hier die Gerichtsmedizin angesiedelt, ein traditionsreicher Ort mit viel Prominenz, die ihren letzten Weg durch diesen Keller nahm, von Otto Lilienthal über Karl und Rosa, Horst Wessel, die Toten des 17. Juni bis zum Maueropfer Peter Fechter.

Das „Haus der Opfer“, wie Kisch es nannte, ist eines der Höhepunkte der auf den Busmonitoren mit Fotos und Filmen illustrierten Reise durchs kriminelle Berlin, schon weil kaum jemand davon Kenntnis hat. Andere Orte und Namen sind dagegen wohlbekannt, wie die des Hauptmanns von Köpenick, der 1906 den Bürgermeister festnehmen und zur Neuen Wache Unter den Linden bringen ließ.

Die spannende und unterhaltsame Tour ist eine Reise kreuz und quer durch die Jahrhunderte, deren Stationen vom mittelalterlichen Sühnekreuz an der Marienkirche, Buße für den Mord an Probst Nikolaus von Bernau, über das alte Polizeipräsidium am Alexanderplatz mit dem legendären Kriminalkommissar Ernst Gennat bis zum Reichstagsbrand reichen. Die Napoleons Diebstahl der Quadriga nicht vergisst, nicht die Brüder Sass, die Attentate auf Wilhelm I., die Ringvereine der zwanziger Jahre und nicht die Mauertoten. Ganz neu ist solch eine Krimitour aber nicht. Ähnliches hat es schon in den Zwanzigern gegeben, nur ohne Videos. Andreas Conrad

Nächste Touren: 12., 19., 26. November, 10. Dezember. Kosten: 19,50 Euro. Anmeldung Tel. 4402 4450, www.videobustour.de

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