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Berlin: Ausgegrenzte Muslime werden zu Islamisten

Von Frank Jansen Unter den rund 250 000 Muslimen der Stadt sieht Innensenator Ehrhart Körting (SPD) aufgrund fehlender Integration eine zunehmende Tendenz der Reislamisierung. Der Islam werde vermehrt als „Kulturersatz“ betrachtet, sagte er am Freitag bei der Vorstellung einer Broschüre über Islamismus.

Von Frank Jansen

Unter den rund 250 000 Muslimen der Stadt sieht Innensenator Ehrhart Körting (SPD) aufgrund fehlender Integration eine zunehmende Tendenz der Reislamisierung. Der Islam werde vermehrt als „Kulturersatz“ betrachtet, sagte er am Freitag bei der Vorstellung einer Broschüre über Islamismus. Die Zahl von schätzungsweise rund 4000 radikalen Islamisten erhöhe sich auf 20 000, rechne man die Familienangehörigen dazu. In etwa 20 Prozent der Berliner Moscheen gebe es islamistische Bestrebungen, die im Widerspruch zur freiheitlichdemokratischen Grundordnung in Deutschland stünden. Einige der Bethäuser seien aus dem Ausland gefördert worden, „auch aus Saudi-Arabien“, sagte Körting.

In der Islamismus-Broschüre findet sich neben ausführlichen Analysen auch eine Überraschung. Im vorletzten Kapitel lässt es der Berliner Verfassungsschutz zu, dass seine Arbeit und die der Sicherheitsbehörden überhaupt punktuell in Frage gestellt werden. Werner Schiffauer, Professor an der Europa-Universität Frankfurt (Oder), präsentiert da, wie schon früher bei öffentlichen Veranstaltungen, seine umstrittenen Thesen zu den türkischen Islamisten-Organisationen „Kalifatsstaat“ und „Milli Görüs“. Das von Bundesinnenminister Otto Schily Ende 2001 ausgesprochene Verbot des Kalifatsstaates habe dieser Gemeinde „neues Leben eingehaucht“, behauptet Schiffauer. Dann belehrt er die Bundesregierung, sie wäre gut beraten, „sich einer klugen Politik der Gelassenheit zu befleißigen, die sich nicht durch Verbalradikalismus provozieren lässt“.

Schily hatte den Kalifatsstaat verboten, weil er die Organisation als Gefahr für die innere Sicherheit ansah. Ein Indiz: Der Mord an einem abtrünnigen „Gegenkalifen“ in Berlin, initiiert durch den Kalifatsstaatsanführer Metin Kaplan, konnte bis heute nicht aufgeklärt werden. Das gilt auch für zwei weitere Auftragsmorde im Milieu des Kalifatsstaats.

Im Fall „Milli Görüs“ argumentiert Schiffauer in der Broschüre beinahe so, als wäre er der Anwalt dieser Organisation. Schiffauer nennt Milli Görüs eine „ehemalig islamistische Gemeinde“, aus der heraus „antiislamistische Positionen entwickelt wurden“. Dies sei eine Chance, „Personenkreise in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, die ansonsten schwer oder nicht erreichbar wären“. Stattdessen würde dieser Entwicklung „von deutscher Seite das Wasser abgegraben“. Schiffauer fordert, dass der Verfassungsschutz die Beobachtung von Milli Görüs einstellt – „der Schaden des Entlassens aus der Observanz“ sei niedriger als der, der durch die Beobachtung ausgeübt werde. Denn eine Organisation, die im Verfassungsschutzbericht auftauche, sei „in dieser Gesellschaft vorverurteilt“.

Der Berliner Verfassungsschutz sieht das offenbar anders, auch wenn er in seiner Broschüre jemanden wie Schiffauer zu Wort kommen lässt. Im Jahresbericht 2004 schreibt der Nachrichtendienst, Milli Görüs habe sich bislang von der Ideologie des türkischen Islamistenführers Necmettin Erbakan nicht distanziert. Dieser lehne „wesentliche rechtsstaatliche Prinzipien wie Volkssouveränität oder Parteienpluralismus als unvereinbar mit der ,gerechten Ordnung’ ab“ und fordere einen Systemwechsel – „auch für die Bundesrepublik Deutschland“.

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