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Ausgrabungen: Schätze vor dem Roten Rathaus entdeckt

Bei den Grabungen in der historischen Mitte Berlins ist ein spektakulärer Fund geglückt: Archäologen entdeckten Tresore und Bronzeplastiken, die von den Nazis als entartete Kunst beschlagnahmt wurden.

Bei den Grabungen gegenüber vom Roten Rathaus in der historischen Mitte Berlins ist den Archäologen ein spektakulärer Fund geglückt: Ein Dutzend Kunstwerke, darunter Frauenbildnisse aus Bronze, wurden tief unter dem Pflaster entdeckt. Nun wird geprüft, ob einige Stücke zu den Meisterwerken zählen, die im Nationalsozialismus als „entartete Kunst“ ausgestellt wurden und auf den Listen der verlorenen Werke deutscher Museen stehen. Die Kunstwerke lagen im Erdreich an der früheren Königstraße, heute Rathausstraße.

Dort befand sich das Büro von „Wirtschaftstreuhänder“ Erhard Oewerdieck. Erhard und Charlotte Oewerdieck hatten einen jüdischen Bürobediensteten vor den Nazis versteckt und werden dafür in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. An derselben Grabungsstelle, wo die Kunst entdeckt wurde, fanden die Archäologen auch drei Tresore.

„Wir haben nicht mit einem solchen Fund gerechnet“, sagt einer, der nicht genannt werden will. Die Tresore sollen verschiedenen Familien gehört haben. In einem Safe sollen Steuerakten von Oewerdieck, in anderen Unterlagen jüdischer Berliner gelegen haben. Die Erben von Erhard Oewerdieck wurden über die Funde informiert. Dies bestätigte Oewerdiecks Schwiegertochter dem Tagesspiegel. Alle Objekte werden von den Archäologen der „Königstraße 50“ zugeordnet, also auch die Kunstwerke. Nun könnte eine Auseinandersetzung darüber einsetzen, wer deren rechtmäßiger Eigentümer ist.

Nach der Freilegung erstaunlich großer, gut erhaltener Teile des Hauptsaals vom „Alten Rathaus“ beweist dieser neue Fund, wie groß der Wert und die Menge der am Roten Rathaus gefundenen Schätze sind. Nach ihrer Freilegung wurden die Kunstwerke nach Charlottenburg in die Werkstatt des Museums für Vor- und Frühgeschichte gebracht, wo sie gesäubert und restauriert wurden. Danach wurden die Kunstwerke in das Neue Museum auf die Museumsinsel gebracht, wo sie sich nun befinden.

Dort recherchieren Spitzenforscher der Stiftung Preußischer Kulturbesitz weitere Details zu den Fundstücken. Darunter sind nach Tagesspiegel-Informationen die Büste eines Frauenkopfs und ein weibliches Standbild. „Sehr interessante Sache“, sagt ein Forscher, der nicht genannt werden will – und vertröstet auf Montag. Dann will der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) persönlich die Kunst präsentieren. Deshalb wurden damals sämtliche Beteiligten zu Stillschweigen verpflichtet. Einige der Fundstücke sollen auf der Liste der „Kriegsverluste“ der Berliner Museen stehen. Sie galten als unwiederbringlich verloren. Die Exponate für die Wanderausstellung „Entartete Kunst“ hatten die Nazis enteignet. Nach der Propagandaschau sollen sie im „Ministerium für Reichspropaganda“ gelagert worden sein – in den Kriegswirren ging die Spur so manches Meisterwerkes verloren.

Die Geschichte des Wirtschaftstreuhänders Erhard Oewerdieck ist gut dokumentiert. In seinem Büro in der Königstraße 50 beschäftigte er unter anderem den jüdischen Buchhalter Martin Lange. Als die Verfolgung der Berliner Juden begann, versteckte Oewerdieck Lange am privaten Wohnsitz der Familie in der Neuköllner Ilsestraße. Dabei ging er ein beträchtliches Risiko ein, sagt Beate Kosmala von der Gedenkstätte „Stille Helden“: Er war bereits im Visier der Nazis, denen er als „politisch unzuverlässig“ galt. Nach Auskünften der Gedenkstätte Yad Vashem hatte er im März 1941 für die „berühmten jüdischen Gelehrten Eugen Tauebler und Selma Stern-Tauebler in höchster Not die Ausreise in die USA organisiert und später persönliche Dokumente der Emigrierten versteckt“. Deshalb belegten die Nazis Oewerdieck mit einem Berufsverbot.

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