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Berlin: Außer Tresen nichts gewesen

Rückblick auf zehn Jahre „Thekentanz“: eine Handvoll eleganter Bars hebt den Berliner Standard

Von Frank Jansen

Am Anfang war der Schwall. Der Keeper im „X“ in Prenzlauer Berg mixte derart heftig, dass dem Shaker der halbe Cocktail entflog – und auf dem hellen Trenchcoat des drinking man landete. Das war eine erste Lektion: Beim Thekentanztrinktest sind grundsätzlich nur Textilien mit einem Dunkelfaktor von mindestens Nachtblau zu empfehlen. Und beinharte Friedfertigkeit an allen Tresen, in allen Lagen. Auch wenn’s Mai Tai regnet.

Die Episode im „X“ war fast eine Art Taufe. Einige Wochen zuvor, am 10. Februar 1995, hatte der drinking man den ersten Thekentanz absolviert. Auch in Prenzlauer Berg. Das erste Objekt strengster Prüfung war die „Bodeguita del Medio“. Eine nette, allerdings eher durchschnittliche Cuba-Bar, die von den Anfängen des gastronomischen Havanna-Booms kündete. Der dann zur Buena-Vista-Social-Club-Manie eskalierte – und heute als eher ranzig gilt. Der Cuba-Trend ist nicht der einzige, dessen Eruption und Erlöschen in den zehn Jahren Thekentanz zu beobachten war. Nutzen wir das kleine Jubiläum zu einem Rückblick. Mit winzigen Abweichungen vom Pfad der Friedfertigkeit.

1995 war elegant drinking in Berlin kaum möglich. Es dominierte das altmodische Hotelbarmilieu, in dem Touristen und Einheimische mit bunten Süppchen abgespeist wurden. Außerdem gab es reichlich „Szenekneipen“, deren Matadore die Frage nach einem Cocktail gar nicht oder mit „willste ’n Beck’s?“ beantworteten. Doch dann öffnete im Sommer in Schöneberg eine Bar, die von der Ankunft einer neuen Generation kündete: Das „Green Door“. Hier gab (und gibt) es Daiquiris, Mai Tais, Singapore Slings und andere Klassiker auf Niveau der Barmixer-Größe Charles Schumann – kombiniert mit einem modernen, unschmuddeligen und anti-arroganten Ambiente. Zur Green-Door-Klasse zählen vor allem das Riva, das Reingold, die Victoria-Bar, das Windhorst, die Jansen Bar, die (neue) Haifischbar. So bekam das elegant drinking einen Berliner Code – den auch die vielen hinzugekommenen, subeleganten Cocktailbars nicht verwässern können. Angedeutet sei hier nur das Treiben in einigen Rummelmeilen in Friedrichshain und Prenzlauer Berg.

Bei einem Rückblick darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, dass der große alte Mann der Barszene in der Stadt, Rudolf van der Lak, schon seit den fünfziger Jahren ein Refugium für stilvolles Trinken betreibt, die „Galerie Bremer“. Doch sie war lange eine Rarität, die klein und bescheiden an die großartige Barkultur Berlins vor Beginn der braunen (Biersäufer-)Diktatur anknüpfte. In ihrer altersbedingten Einzigartigkeit zeugt die Galerie Bremer allerdings auch von einem historischen Manko: Außer diesem Lokal gibt es in Berlin keines, das ähnliche Patina wie die uralten Bars in Barcelona, Paris oder Havanna aufweisen könnte. Die Green-Door-Szene ist jung und vermag trotz aller Qualitäten den Mangel an Tradition, bedingt durch die Zäsuren von Nazi-Zeit, Krieg und Mauer, nicht auszugleichen. Da bleibt den Berliner Jungbars nur eine eherne Perspektive: mindestens fünfzig Jahre zu überleben. Sind sie dann noch gut, sind sie old and grand.

Die meisten der neuen Bars werden es allerdings nicht schaffen. Wer auf flippige Trends setzt, sei es der Che-Guevara-Kult oder die Installation großer Aquarien, wird nach ein paar Jahren langweilig und braucht einen neuen Innenarchitekten (meldet sich ein Trend-Scout, sofort die Polizei rufen). Fraglich ist auch, ob die Kombination von Drinks und Sushi oder Texmex-Fingerfood, wie sie seit einigen Jahren um sich greift, wirklich den Rang einer dauerhaften Errungenschaft beanspruchen kann. Und seltsam erscheint die in den vergangenen zehn Jahren beobachtete, wellenförmige Hingabe größerer Trinkerscharen an Drinks wie „Caipirinha“, „Watermelon Man“ oder „Mai Tai“. Nichts gegen diese Cocktails per se (schon gar nicht bei einem guten Mai Tai), aber jeder Massentrend führt zu Qualitäts- und Imageverlust. Ein „Caipi“ hat heute einen ähnlichen Leumund wie Bier. Aus der Flasche.

Eine lange Zukunft haben, so hofft der drinking man, die Bars, in denen zeitlose Tugenden dominieren – aufmerksamer Service, sichere Komposition klassischer Cocktails, Gespür für Wesen und Würde des Tresens, dezente Handhabung des Lautstärkereglers und eine Ahnung von der globalen Historie der Liquor Saloons.

Alles andere ist Schwall und verfliegt.

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