zum Hauptinhalt

Berlin: Ausstellung: Schimmel ohne Chance

Diese Brillanz der Farben! Erstaunlich.

Diese Brillanz der Farben! Erstaunlich. Und wo ist der Grauschleier! "Eine Ruine", so hatte Ingo Timm, Restaurator beim Stadtmuseum, vor Jahresfrist noch geurteilt, als er die neueste Erwerbung seines Hauses begutachtete: eine Stadtansicht aus dem thüringischen Mühlhausen, in den 20er Jahren von dem in Berlin ansässigen Maler Jakob Steinhardt geschaffen. Die Zeit hatte dem Gemälde übel mitgespielt, die Leinwand war gerollt worden, hatte Knicke, sogar Grundierung war abgebröckelt. Schimmel hatte sich ausgebreitet, Feuchtigkeit dem harzhaltigen Bindemittel zugesetzt. Eine Herausforderung für jeden Restaurator.

Für Timm, der mittlerweile in den Ruhestand verabschiedet wurde, eine seiner letzten Arbeiten fürs Museum. Sie ist wohlgeraten. Schon Josefa Bar-On, in Israel lebende Tochter des Malers, war begeistert, als sie, nach Berlin gekommen zur Eröffnung des Jüdischen Museums, einen ersten Blick auf das restaurierte Ölgemälde werfen konnte. Ab Freitag ist dies allen Kunstfreunden möglich: Im "Galgenhaus" in der Brüderstraße 10 wird die Stadtansicht in der Ausstellung "Frisch aufgehängt" gezeigt. Zu sehen sind bis 27. Januar Neuerwerbungen der letzten fünf Jahre, Kunstgewerbe, Gemälde und Möbel des 18., des frühen 19. und des 20. Jahrhunderts.

Das Steinhardt-Gemälde fügt sich ein in eine umfangreiche Sammlung von Arbeiten des jüdischen Malers, der 1933 nach Palästina emigriert war. Das Archiv des Künstlers hatte seine Tochter schon dem Jüdischen Museum übereignet, Zeichnungen gingen dagegen ans Stadtmuseum. Das Gemälde hatte Josefa Bar-On erst im vergangenen Jahr von Verwandten in England erhalten. Nach Mühlhausen war die in Posen ansässige Familie nach dem 1. Weltkrieg übergesiedelt.

Das poetische Stadtbild unterscheidet sich erheblich von den Werken, mit denen Steinhardt kurz vor Kriegsausbruch in Berlin von sich reden gemacht hatte. Gemeinsam mit Ludwig Meidner und Richard Janthur hatte er sich 1911/12 zu der Künstlergruppe "Die Pathetiker" zusammengeschlossen, die mit expressionistischen, teilweise apokalyptischen Bildern auf die Zeit und die herrschende Weltuntergangsstimmung reagierte.

Die Gruppe der "Pathetiker" ist heute nur noch wenigen bekannt, vergessen ist sie nicht. Unlängst haben sich wieder drei Künstler zu einer lockeren Gruppe zusammengeschlossen: "Die Neopathetiker". Den Anstoß zur Namensfindung gab der in Wuppertal lebende Maler Georg Janthur, Großneffe des alten Berliner "Pathetikers", dazu kamen der Bildhauer Uwe Schloen und der Schriftsteller Christian Futscher.

Auf "große Gesten und Deutungen", den "pathetischen Touch" zielt auch der 43-jährige Janthur, die Sujets aber haben sich gewandelt. Seine Spezialität: Haken beispielsweise oder Schrauben, auch Shampooflaschen in einem tunesischen Friseursalon, scheinbar unwichtige Alltagsdinge, die nun groß dargestellt werden, als seien sie von überragender Wichtigkeit. Und aus der Summe all dieser kleinen Dinge entsteht für ihn in der Tat Großes: ein Querschnitt des Lebens.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false