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Berlin: Australien will den Potsdamer Platz

Die Millionenstadt Perth gilt als verschlafen. Jetzt wird umgebaut – nach dem Vorbild Berlins

Zwischen Perth und Berlin liegen genau 13 566 Kilometer, der Indische Ozean und das Arabische Meer, eine Handvoll Inseln und mehrere Zeitzonen. Das soll sich ändern. In Zukunft sollen Berlin und Perth näher zusammenrücken – davon zumindest träumt Westaustraliens Bauministerin Alannah MacTiernan. Sie will der 1,5-Millionen-Einwohner-Stadt an der australischen Westküste endlich das verschlafene Image austreiben, ein bisschen Szene-Flair von der Spree nach Down Under holen und Perth nach dem Vorbild Berlins in eine pulsierende Metropole verwandeln. „Perth soll rocken“, sagt die Ministerin.

Das voraussichtlich mehrere hundert Millionen Euro teure Aufpolier-Projekt ist bereits in vollem Gange. Im Zuge des größten Bauvorhabens in der Geschichte Westaustraliens entrümpeln Planer derzeit zentrale Plätze der Stadt. Architektonisches Leitbild: renovierte Berliner Touristenmagneten wie der Potsdamer Platz, die Hackeschen Höfe und das Szeneviertel Prenzlauer Berg. Da brummt aus australischer Sicht das kulturelle Leben. In Perth dagegen steht es für viele still.

Touristen trauen oft ihren Augen nicht: An einem Samstagnachmittag herrscht zwischen den Wolkenkratzern im Herzen der australischen Millionenstadt dörfliche Ruhe. Auf dem sonnenwarmen Asphalt ruhen sich die Spatzen aus, Geschäftsinhaber schließen oft schon mittags die Läden. Während an der Champagnerbar im KaDeWe die Rush-Hour beginnt, machen es sich die meisten Westaustralier lieber im Vorgarten bequem, befeuern den Grill oder faulenzen am Strand. Ins Stadtzentrum will niemand mehr. Erst recht nicht abends.

Schuld daran ist der „große Graben“. Ein breiter Schienstrang, der sich neben dem Hauptbahnhof auftut und die Stadt in zwei Hälften teilt. Im Süden liegt der Central Business District (CBD) mit seinen Hochhäusern und Boutiquen. Im Norden das Amüsierviertel Northbridge mit seinen Kneipen und Clubs. Wer hier nachts ausgeht, kommt oft unfreiwillig erst im Morgengrauen nach Hause: Es gibt nur eine Nachtbuslinie und zu wenig Taxifahrer, die den langen Umweg um die „Great Divide“ fahren wollen – auf die andere, die „falsche“ Seite der Gleise. „Wir haben hier unsere eigene Berliner Mauer“, stöhnen die Beamten im Planungsstab. Sie reisten im vergangenen Herbst im Gefolge der Bauministerin nach Berlin und Leipzig. Seitdem basteln sie begeistert an „Perths Antwort auf den Potsdamer Platz“.

Innerhalb der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre soll ein Großteil des Gleisgewirrs unter die Erde verschwinden, um Northbridge mit dem CBD zu verbinden. Die darüber neu gewonnene Fläche soll ein Flanierareal nach Art des berühmten Berliner Vorbilds werden. Hochkarätige Architektur soll den neuen Verbindungsplatz säumen, Altbauten neben modernen Glasfassaden glänzen. Ein großer Architekturwettbewerb ist geplant. Als einen Berater hat die Stadt bereits den deutschen Landschaftsarchitekten Herbert Dreiseitl eingespannt, der die Wasserlandschaft am Potsdamer Platz ersann.

„Perth braucht diesen Entwicklungsschub“, sagt Simon Anderson, Prodekan an der Fakultät für Architektur, Landschaft und darstellende Kunst der University of Western Australia. Denn obwohl die Wirtschaft boomt, zieht es die so dringend benötigten Arbeitskräfte aus dem Ausland eher in andere Metropolen. „Perth halten viele für langweilig“, weiß Ministerin MacTiernan.

Sie sehnt sich nach dem bunten Berliner Innenstadt-Leben, nach Freigeist-Kultur. Immer noch schwärmt die Australierin von ihrem Spaziergang durchs „fantastische, fabelhafte“ Berlin: Zu den Hackeschen Höfen und durch Prenzlauer Berg mit seinen Seitenstraßen und kleinen Ladenlokalen, in denen Berlins Kreative selbst genähte Taschen verkaufen oder Schmuck herstellen. Sie war begeistert von „Hinterhofläden mit alternativen Klamotten und seltsam altmodischen Kommunismus-Slogans“. Der Versuch, ein ähnliches kulturelles Zentrum in Perth zu schaffen, schlug vor Jahren fehl. Zu stark ist die Stadt noch der englischen Tradition verhaftet, das Wohnen vom Arbeits-, Einkaufs- und Amüsierviertel zu trennen.

Mit dem Abriss des „Great Divide“ soll das Leben zurück in Perths Innenstadt kommen. Wohnen und Amüsieren, Arbeiten und Einkaufen sollen verschmelzen. Dieser bauliche Mix, der für Metropolen wie Berlin völlig normal ist, fehlte bisher in Perth. Für Steve Schlegel, einen 24-jährigen Berliner Elektriker, der seit zwei Jahren in Perth lebt und arbeitet, hat das auch Vorteile. „Es gibt keinen Krawall und nicht so viele Graffiti wie in Berlin – ich finde das gut“, sagt Schlegel. „Wer hier lebt, hat ein eigenes Auto und wohnt am liebsten in einem Haus am Strand.“

In ihrem Zukunftsmodell haben das Perths Stadtplaner längst berücksichtigt. „Perth wird sicherlich genug Parkmöglichkeiten bauen“, sagt Architekt Simon Anderson. „Wir lernen ja von Berlin: In Kreuzberg sucht man doch immer ewig einen Parkplatz.“

Vera Sprothen

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