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Autorenforum: Nicht auf den Mund gefallen

Günter Grass hat erstmals vor Publikum seine Jugendmemoiren "Beim Häuten der Zwiebel" vorgestellt. Rechtfertigen musste sich im Berliner Ensemble aber nicht etwa Grass, sondern der ZDF-Mann Wolfgang Herles.

Berlin - Der "aspekte"-Moderator Wolfgang Herles schickte bei der ersten öffentlichen Präsentation der Grasschen Jugendmemoiren "Beim Häuten der Zwiebel" gleich zu Beginn voraus, er sei "Gastgeber, nicht Großinquisitor". Angesichts der "weltweiten Debatte" zur Waffen-SS-Beichte des Literaturnobelpreisträgers müssten aber Fragen gestellt werden. Die konterte Grass gern mit Seitenhieben auf Literaturkritiker, die "unter ihrem eigenen Niveau" argumentierten, und erntete damit bei der Mehrheit der über 600 Zuschauer Applaus und beifälliges Gelächter.

Gänzlich unbeeindruckt zeigte sich der 78-Jährige von der Kritik indes nicht. Die "Kampagne" der vergangenen Wochen zur "Dummheit" seiner jungen Jahre habe ihn überrascht, getroffen und sei ihm an die Nieren gegangen, gestand er ein. "Ich stehe nach wie vor auf beiden Beinen", schickte er aber sogleich hinterher. Und wer angesichts der Schelte auf einen künftig wortkargeren Grass gehofft hatte, wurde erwartungsgemäß enttäuscht. "Ich werde weiterhin den Mund aufmachen", kündigte der Autor an.

Demonstranten vor dem Berliner Ensemble

Ob das Eingeständnis vor der Buchveröffentlichung, als Jugendlicher Mitglied der Waffen-SS gewesen zu, ein Werbetrick gewesen sei, wollte Herles noch wissen. "Man kann für alles werben, außer für Bücher", entgegnete Grass. Hätte er aber nicht vielleicht früher über seine Vergangenheit sprechen können und sollen? Mit welchem Recht wolle man von ihm verlangen, eine kurze Phase seines Lebens öffentlich zu machen, erwiderte Grass. Wäre etwas mehr Milde nun angebracht? Das würden schon genug andere Schriftsteller machen, sagte Grass und hatte erneut die Lacher auf seiner Seite. Das winzige Häufchen Demonstranten vor dem Berliner Ensemble mit seinem Banner "GraSS - Du bist Deutschland" war da schon lang vergessen.

Das sich selbst lange verweigerte Eingeständnis "des Worts und des Doppelbuchstabens" hatte der Autor am Montagabend nicht selbst vorgelesen. Für die Demonstration seiner "nachwachsenden Scham" wählte er lieber die Erinnerung an einen Kameraden beim Arbeitsdienst. Jenen "blondblauäugigen Jungen mit dem rassereinen Profil", der jede Waffe mit der Begründung "wir tun sowas nicht" in den Staub fallen ließ und schließlich in einem Vernichtungslager verschwand. Da werde man ihn schon kleinkriegen, hätten die Kameraden sich gesagt - und keine weiteren Fragen gestellt. Den Jungen, der er damals war, beschreibt Grass als stumpfsinnig, zufrieden und satt.

Auch die zweite Auflage ist schon zur Hälfte verkauft

Er hoffe, dass sein Buch nun das letzte Wort habe, sagte Grass. Zumindestens mit der Verbreitung seines Werks dürfte er zufrieden sein. Die Erstauflage von 150.000 Exemplaren war bereits zwei Wochen nach Erscheinen vergriffen. Die Hälfte der zweiten Auflage in Höhe von 100.000 Büchern war Anfang der Woche nach Verlagsangaben ebenfalls bereits verkauft.

Die Wirkung seiner Jugenderinnerungen könnte nach Ansicht des Autors über das Buch selbst hinausreichen. Vielleicht gebe es zusätzliche und hilfreiche Hinweise bezüglich seiner übrigen Werke, sagte er. Diese könnten dabei helfen, am Text zu bleiben und nicht, wie es eine Unart der Germanisten sei, beständig nach Symbolen zu suchen.

Im Zuge der Debatte war wiederholt gefordert worden, Grass solle seinen Nobelpreis zurückgeben. Fast scheint es, als habe der Schriftsteller sich die Begründung des Komitees 1999 zu Herzen genommen. Darin war er als Autor geehrt worden, "dessen ausgelassenen, schwarzen Fabeln das vergessene Gesicht der Geschichte nachzeichnen". (Von Nina Jerzy, ddp)

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