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Babyboomer: So leben Eltern in Berlin

Ob Kita, Krabbelgruppe, Kindertanzen – für viele junge Familien ist Berlin attraktiv.

Jetzt ist Jakob dran. Mühsam erklimmt der Zweijährige Stufe um Stufe am Kletterturm. Oben angekommen, lässt Jakob sich auf die Plattform plumpsen und strahlt seine Mutter an. Jeden Tag kommt Juliane Herdtfelder mit ihrem Sohn zum Spielplatz am Weichselplatz in Kreuzberg. Jakob hat dort nicht nur Selina, Anton oder Moritz kennengelernt, auch seine Mutter hat dort die Eltern getroffen, die ihre Idee von Kindererziehung teilen. Mehr Zeit für Kinder haben, auch ohne dickes Bankkonto und Eigenheim.

Berlin mit Kind liegt im Trend. Nach Angaben des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg sind im vergangenen Jahr rund 32 000 Babys in der Stadt zur Welt gekommen. Angebote für junge Eltern, Kindergartenplätze oder das alternative Flair der Hauptstadt locken die Kinderwilligen. Wie nachwuchsfreundlich Berlin ist, hängt allerdings vom Bezirk ab.

Hochschwanger ist Herdtfelder vor zwei Jahren mit ihrem Freund nach Berlin gezogen. Beide hatten zuvor für längere Zeit in Namibia gearbeitet. Sie als Architektin, er als Arzt. Als Herdtfelder schwanger wurde, hätten sie auch nach Stuttgart ziehen können. Weil man in Berlin schnell im Grünen ist und hier viele Akademiker und Individualisten leben, hat die Großstadt gewonnen. „Kreuzberg hat es mir leicht gemacht“, sagt Herdtfelder. Bezahlbare Mieten, Krabbelgruppe, Babyschwimmen. Sie hat sich nie einsam gefühlt. Ganz im Gegenteil. Die Gegend am Kanal und am ehemaligen Grenzgebiet ist deshalb bei jungen Familien sehr beliebt. „Die Eltern-Kind-Gruppen sind immer voll,“ sagt Michael Schleiff von der Nachbarschaftsgalerie in Alt-Treptow. Kindertanzen oder Spielegruppe, Schleiff könnte durchaus mehr Kurse anbieten. Wenn der Bezirk mehr Geld zuschießen würde.

Kurse für Babyzeichensprache, Yoga für Kleinkinder oder musikalische Früherziehung. Der Kinderboom ist Geschäftskonzept. Kinderklamotten haben sich schon immer gut verkauft. Auch das Geschäft mit der guten Erziehung läuft besser als je zuvor. „Junge Eltern haben oft keine Ahnung,“ sagt Katja Hennig. Die Kinderkrankenschwester hat sich auf Babymassagen spezialisiert. Für 60 bis 80 Euro pro Kurs kommt sie nach Hause. Die meisten Kunden sitzen in Prenzlauer Berg, Friedrichshain oder in Mitte. Die jungen Eltern wollen ihrer Erfahrung nach alle Eventualitäten bei der Erziehung ausschließen. Weil es kaum noch Großfamilien gibt, hätten sie heute oft kein Gespür, was richtig oder falsch ist, glaubt Hennig.

Seit knapp einem Jahr lebt Daniela Vönneky mit ihrem Mann und ihrer Tochter Ava in Mitte. Bis auf die hohen Bordsteine, die mit Kinderwagen nur schwer zu überwältigen sind, ist Mitte für sie der ideale Bezirk mit Kind. Zuvor hat die junge Familie in Alt-Moabit gewohnt. Zu schmutzig, zu schäbig. „Dort möchte ich mein Kind nicht aufziehen,“ sagt die 35-Jährige. In Mitte ist der Sportverein fürs Kinderturnen um die Ecke, die Musikschule ebenso. Einen Kitaplatz hat sie auch ganz in der Nähe gefunden. Schließlich will die Vertriebsfrau ab August wieder voll arbeiten. Damit schwimmt Vönneky gegen den Trend. „In Mitte werden viele Frauen schneller wieder schwanger,“ sagt Christiane Lehmacher-Dubberke vom Familienprojekt Känguru des Diakonischen Werks. „Kaum kann das erste laufen, ist das zweite Kind unterwegs. Das hat hier viele Nachahmer“.

Wenig Geld, der Mann im Vollzeitjob und wenig Freunde oder Verwandte. Lehmacher-Dubberke weiß, viele Frauen sind schnell überfordert. Die Familienhilfe berät und hilft, bevor das Jugendamt eingreifen muss. Über hundert Familien betreut Känguru, die meisten in Steglitz und Zehlendorf. Noch einmal so viele stehen auf der Warteliste. Dass der Berliner Beirat für Familienfragen die Stadt für kinder-und familienfreundlich hält, kann Lehmacher-Dubberke nicht nachvollziehen. „Uns fehlt das Geld,“ sagt sie. „Der Bedarf an Hilfe steigt.“

Jobcenter Neukölln. Links wartet die Schlange auf die Arbeitslosengeld-I-Anträge. Rechts müssen die weitergehen, die sich für Hartz IV anmelden wollen. Es riecht muffig, Neonlicht spiegelt sich im betongrauen Fußboden. Menschen beschweren sich über die Warteschlange, Handys klingeln, Kinder maulen. Eine Frau kramt in ihrer Handtasche. Das kleine Mädchen mit braunen Locken zerrt am Riemen der Tasche. „Mama!“ Die Mutter atmet tief ein, zieht ein braunes Plastikpferd aus der Tasche. Das Mädchen strahlt, grabscht nach der Spielfigur und rennt davon. Zwei Mädchen stürmen hinterher. Müde schaut die Frau den Kindern nach. Sie streicht sich mit der Hand über den Bauch. Nicht zu übersehen, dass sie wieder schwanger ist. „Hätten wir doch bloß gewartet,“ sagt sie.

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