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Berlin: Badewanne mit zwei Stöpseln

Freundliche Flüsse: Vor Hochwasser müssen die Berliner keine Angst haben – und vom Wassermangel bekommen sie jetzt auch nichts mit

Während vor einem Jahr in Sachsen die Häuser in den Fluten versanken, stand die Spree in Berlin kaum eine Handbreit höher als sonst. Jetzt, nach monatelanger Trockenheit, wird das Wasser zwar immer grüner. Aber es wird nicht weniger. Am Sonnabend meldete der Wärter an der Mühlendammschleuse einen Pegel von 4,33 Metern – fünf Zentimeter über normal. Ist die Spree, die in Sachsen entspringt und mitten in Deutschlands wasserreichster Gegend in die Havel mündet, wirklich ein für allemal gezähmt?

Im 19. Jahrhundert sind die Särge der Hohenzollern in ihrer Gruft ein paar Mal nass geworden bis auf die Knochen. 1830, 1855 und 1876 stand der Schlossplatz unter Wasser. So grub man den Dahme-Umflut-Kanal südöstlich von Berlin, so dass sich das Wasser in die Dahmeseen verteilen konnte. Später kamen weitere Kanäle und Schleusen hin- zu, die den Flutwellen die Wucht nehmen.

Dietrich Jahn, der bei der Stadtentwicklungsverwaltung das Referat Wasserwirtschaft leitet, rechnet den nach Senatsansicht schlimmsten Fall vor: „Drei extreme Regenfälle in drei Wochen. Der erste sättigt den Boden, beim zweiten laufen die Speicher voll, beim dritten kommt die Flutwelle mit hundert Kubikmetern pro Sekunde. Da könnte die Spree um 60 bis 80 Zentimeter steigen. Das verkraften wir.“

Das sind Theorien, die derzeit recht praxisfern wirken. „Die Spree fließt nur noch ein ganz kleines bisschen“, sagt der Schleusenwärter am Mühlendamm beim Blick aufs Wehr. Ein Rinnsal plätschert über die Tore. Sie sind geschlossen, mehr kann nicht fließen. Die Trockenheit erkennt man in Berlin nicht daran, dass der Fluss niedriger stünde als sonst, sondern daran, dass er kaum fließt.

Nimmt man den Anteil der Gewässer an der Landesfläche zum Maßstab, so ist die Stadt mit knapp sieben Prozent enorm wasserreich. Gemessen an der fließenden Menge aber sitzt sie fast auf dem Trockenen. Gerade acht Kubikmeter pro Sekunde kommen noch an der Havel in Spandau an. Die Spree ist eine Badewanne mit zwei Stöpseln: Der eine steckt an der Mühlendammschleuse, der andere am Teltowkanal, der von der Dahme abgeht. Würde aus dem Oberlauf gar kein Wasser mehr nachkommen, flösse die Spree unter der Oberfläche langsam Richtung Spreewald zurück, sagt Winfried Lücking, Wasserexperte beim BUND.

Aber das dauert, denn auf jedem Kilometer von Cottbus bis nach Köpenick fließt die Spree nur 17 Zentimeter bergab. In Berlin sind es sogar nur noch neun Zentimeter – und zurzeit fast null. „Wäre die Spree ein Gebirgsbach, wäre sie schon leer“, sagt Ulrich Irmer, der beim Umweltbundesamt den Fachbereich Binnengewässer leitet. Problematisch sei aber dank der Schleusensysteme nicht der Pegel, sondern vielmehr die Qualität des Wassers: Wenn der Fluss nicht fließt, verschlammt er, Blaualgen wachsen und zersetzen sich zu Giftstoffen, der Sauerstoff für die Fische wird knapp. Umweltschützer Lücking ahnt außerdem, dass mit dem nächsten kräftigen Schauer der über Wochen auf den Straßen angesammelte Dreck – Hundekot etwa – die Spree vergiften wird. Und er fürchtet, dass die bisher noch zahlreichen Muscheln zwischen Köpenick und Spreewald verhungern könnten, weil sie aus dem stehenden Wasser keine Nahrung mehr filtern können.

Zu einem guten Teil wird die Berliner Badewanne mit Abwasser gefüllt: Dietrich Jahn berichtet von sieben Kubikmetern, die in jeder Sekunde künstlich in die Berliner Gewässer geleitet werden (wo sie teilweise aber auch herkamen). Die dreistufige Abwasserklärung sei „technologisch hohe Schule“. Eine vierte Stufe, die Bakterien und Viren herausfiltert, werde aber erst in den nächsten Jahren eingesetzt. Um die Wasserqualität macht sich der Senatsexperte keine Sorgen; das Badeverbot in der Spree habe nur mit der Gefahr durch den Schiffsverkehr zu tun.

Allzu schmutzige Abwässer würden nach BUND-Angaben die Wasserversorgung gefährden, denn 70 Prozent des Berliner Trinkwassers stammten aus Uferfiltrat. Der Senat jedoch versichert: „Die Hitze halten wir über Monate aus.“ Aber auf lange Sicht würde ein großer Regen allen Beteiligten – von den Muscheln bis zu den Menschen – gut tun.

Aber warum sollte er denn nicht nur zu einer höheren Fließgeschwindigkeit, sondern auch zu einem gefährlichen Pegelanstieg führen? Gut 10000 Quadratkilometer groß sei das Gebiet, aus dem bei Regen das Wasser in die Spree fließt, sagt der Berliner Wasserwirtschaftler Jahn. Das klingt gewaltig angesichts der nur 900 Quadratkilometer großen Stadt Berlin. Aber für die Elbe nennt Jahn 144000 Quadratkilometer. Auch um die kleine Havel mit ihrem 24 000 Quadratkilometer großen Einzugsgebiet macht sich kein Experte Sorgen. Denn die kommt aus der weitläufigen Mecklenburger Seenplatte, wo es – ebenso wie in Berlin – kaum so stark regnen kann wie vor einem Jahr am bergigen Oberlauf der Elbe. Ganz Ängstliche können sich jederzeit beim Potsdamer Landesumweltamt erkundigen: Das Hochwassertelefon ist auch in diesen trockenen Zeiten erreichbar.

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