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Berlin: Balance-Akt mit 450 Tonnen

Brücke verschieben per Joystick: Am Westkreuz ist die S-Bahn wegen eines Kraneinsatzes unterbrochen

Von Jens Jagodzik hing alles ab. Mit seinem Stahlseil balancierte der Kranführer die 450 Tonnen schwere Stahlbrücke, die gestern am Bahnhof Westkreuz über die S-Bahngleise gezogen wurde. Im Zuckeltempo wurde der am Südrand der Trasse montierte Koloss genau positioniert. Vor anderthalb Jahren hatten die Arbeiten mit dem Abriss der alten, aus dem Jahr 1914 stammenden Fachwerkbrücke begonnen. Die neue Stahlkonstruktion wurde neben der Trasse vormontiert. Sie entspricht den heutigen Bestimmungen sowie der künftigen Elektrifizierung der Strecke und ist mit 12,5 Metern breiter als ihre Vorgängerin. Das zweigleisige „Kreuzungsbauwerk Grunewald-Witzleben“ ist Teil des Ausbaus des Berliner Güterbahn-Innenringes. In zwei Jahren sollen hier wieder Züge rollen.

Gestern nun war der entscheidende Tag gekommen. Die auf Schubwagen gelegte, rund drei Millionen Euro teure Brücke wurde auf vier leicht eingefetteten Teflonplatten langsam hinaus über die darunter liegende S-Bahntrasse geschoben. Hydraulische Pressen lieferten den dazu benötigten Schub von rund zehn Tonnen. „Das rutscht wie in der beschichteten Bratpfanne. Da bleibt ja auch nichts haften“, sagte Projektleiter Hans-Jürgen Göhler von der Bahn-Tochter DB Projektbau. In 50-Zentimeter-Schritten rückte die 63 Meter lange Konstruktion langsam vor. Dann mussten Arbeiter erst wieder die Matten versetzen, damit es weitergehen konnte.

Mittags war der kritische Augenblick erreicht, der Schwerpunkt der 450 Tonnen hing in der Luft und damit am Haken des auf der gegenüberliegenden Seite positionierten Krans. Für den „CC 2800“, der bis zu 600 Tonnen hieven kann, eigentlich ein kleiner Fisch. Die eigentliche Aufgabe von Jens Jagodzik lag darin, die Brücke exakt in der Horizontalen zu halten. Maximal 20 Zentimeter Toleranz waren zulässig. Nur mit der Lastanzeige auf seinem Computerbildschirm korrigierte der Kranführer der Spezialfirma DFA Industriemontagen mit zwei Joysticks für Seil und Ausleger bei jedem Schub die durch Vermessungsgeräte überwachte Position.

Das endlich sommerliche Wetter war Voraussetzung für den Einsatz. Nur bis Windstärke 5 war ein Verschub der Brücke möglich, so Projektleiter Göhler. Deshalb waren Windmesser aufgestellt, wurde Kontakt zum Wetterdienst in Potsdam gehalten. Bei einem plötzlich aufziehenden Gewittersturm hätten die Arbeiten sofort abgebrochen werden müssen. Für diesen Fall standen Stahlplatten und Seilwinden bereit, um die Brücke in ihrer Position zu sichern. Doch gestern ging alles gut, und am Abend lag die Brücke endlich aufgebockt auf ihrem Widerlager. Erst danach folgt die Montage in ihrer endgültigen Position. Aus diesem Grunde bleibt die viergleisige Trasse der S-Bahnlinie 7 noch bis Montag früh, 1.30 Uhr, unterbrochen. Deshalb verkehrt die S5 nur zwischen Strausberg Nord und Westkreuz, die S7 zwischen Ahrensfelde, Zoologischer Garten und Westkreuz sowie zwischen Grunewald und Wannsee, die S75 zwischen Wartenberg und Westkreuz sowie Messe Süd und Spandau sowie die S9 nur zwischen Flughafen Schönefeld und Warschauer Straße. Zwischen Westkreuz, Messe Süd und Grunewald pendeln Busse.

Rainer W. During

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