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Hereinspaziert.

© Theo Heimann

Berlin: „Bambi? Kenn ick nich!“

Im Grips-Theater gab es eine Sondervorstellung – für Obdachlose und Helfer der Stadtmission.

Wenn es an diesem Tag einen Platz gab, an dem sich Jesus draußen in der Kälte an Biertische gesetzt hätte, so war es der Vorplatz vom Grips-Theater im Hansaviertel. Als Beistand für die Menschen ohne Heimat und zum Dank für die Helfer. Ein Zauber lag über der 1607. Vorstellung des Kultstückes „Linie 1“, draußen – und drinnen, im Warmen.

Da saßen hunderte wohnungslose Menschen sowie Mitarbeiter, Förderer und Freunde der Bahnhofsmission vom Zoo und auch aus Wohneinrichtungen in ihren blauen Westen. „Weil der Mensch mehr ist…“, so lautete das Motto der Aufführung, die ein junger Mann aus Brandenburg finanziert hat, selbst teils als Ehrenamtlicher aktiv. Zu verdanken war der Tag auch Dieter Puhl, dem Leiter der Evangelischen Bahnhofsmission der Stadtmission.

Puhl hatte beim Organisieren Jürgen D. vor Augen, jenen Obdachlosen, 65 Jahre alt, der ihm einmal davon erzählte, dass er noch nie in seinem Leben das Meer gesehen habe. Drei Tage später waren Puhl und Helfer mit einem Team im Stadtmissions-VW-Bus an der Ostsee. Wie der Mann vorsichtig auf das Meer zuging, bedächtig die Hosenbeine hochkrempelte und langsam ins Wasser trat, das vergisst Puhl nie. Obdachlose assoziiert er mit anderen Begrifflichkeiten als dem Tee, den Socken, der H-Milch und der Margarine, um die gerade als Spenden für die Winterzeit gebeten wird. Es geht ihm auch um andere Speisung, nämlich die von Bauch, Geist und Seele.

„Extrem tolle und nette Leute“, so erlebte das Gesa Meziane an der Kasse. „Für die Schauspieler ein anspruchsvoller Auftritt, weil es ein sehr aktives Publikum ist, aber es ist ein bewegender Tag“, sagte ein 20-jähriger Theatermitarbeiter. Mitorganisator Ralf Sponholz von der Stadtmission hatte 200 Karten verteilt, „und die Gäste, die nicht im Krankenhaus, im Knast oder zu alkoholisiert waren und das Ticket nicht verbummelt hatten“, lachten nun, kommentierten, oder legten die Stirn in Falten.

„Das ist Bambi, den kennen alle in Kreuzberg“, sagte einer der von Schauspielern verkörperten Kiezgrößen, und eine Frau im Publikum rief: „Kenn ick nich!“ Wart ihr überhaupt schon mal auf der Straße?, rief sie laut Richtung Bühne. Beschwichtigende Schulterklopfer.

Beim Catering draußen vor dem Theater half eine Berlinerin aus Holland. „Warum ich mich in unserer Überflussgesellschaft engagiere? Darauf habe ich gar keine Antwort, das ist so was von selbstverständlich“, sagte sie. Zwei Polizistinnen fragten nett nach, ob die Feuertonnen zum Wärmen bereits verschoben wurden, im U-Bahnhof hatten sich zuvor etliche Passagiere wegen des hereinziehenden Qualms beschwert. Ja, die Tonnen stehen schon woanders. „Dann sind wir auch schon wieder weg“, sagten die Beamtinnen lächelnd. Annette Kögel

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