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Bandenkrieg: Im Bann der Engel

Im Umfeld ihrer Vereinsheime geben sich Berliner Rockergruppen als freundliche Nachbarn. Doch als das spätere Mordopfer Michael B. aussteigen wollte, sollen ihn die Hells Angels bedrängt haben.

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„Det sind janz liebe Burschen“, sagt Anna Stade: „Vielleicht gehen die mit ihren Rivalen nicht zartfühlend um, aber hier im Kiez benehmen sie sich absolut anständig, sind eher hilfreich als gefährlich“.

Anna Stade ist die Chefin im Café „Anno Domini“ am Klausenerplatz in Charlottenburg, und mit den „lieben Burschen“ meint sie die Mitglieder des Motorradclubs Hells Angels. Hier am Spandauer Damm, keine hundert Meter vom „Anno Domini“ entfernt, befindet sich eines ihrer Vereinsheime. Nach der Ermordung eines ihrer ehemaligen Mitglieder am Freitag steht es wie alle Rockerclubs in der Stadt unter verstärkter Polizeiüberwachung. Die Behörden wollen nicht nur den oder die Täter ermitteln, sondern auch mögliche Vergeltungsschläge verhindern. Wie berichtet, soll der im Alter von 33 Jahren ermordete Michael B. vorgehabt haben, aus der Rocker-Gruppierung auszusteigen.

Der ältere Bruder von Michael B. vermutet jedenfalls als Hintergrund der Tat einen Racheakt der Hells Angels. Die hätten es wohl nicht hinnehmen wollen, dass jemand ihre „Bruderschaft“ verlässt. „Michael wollte schon vor zwei Jahren weg“, sagt der 41-jährige Thomas K. dem Tagesspiegel. „Die haben ihm aber immer gesagt, dass er sich unter keinen Umständen von ihnen abwenden könne.“

Der Präsident des an der Greifswalder Straße beheimateten Clubs, dem Michael B. angehörte, habe selbst mit Blumen die Mutter besucht und auf sie eingeredet, damit sie ihren Sohn im Sinne der Hells Angels beeinflusst, sagt Thomas K. Er vermutet sogar, dass sein Bruder geahnt habe, dass ihm etwas zustößt: „Es sieht so aus, als habe sich mein Bruder mit seinem Schicksal abgefunden und mit dem Mord gerechnet. Sonst hätte er sich doch irgendwie gewehrt oder geschützt“.

Das Gerücht, der Ermordete habe mit der Polizei zusammengearbeitet, hält der Bruder für abwegig. „Er hat die Polizei gehasst und hätte keinen Tag als Spitzel überlebt.“ Wer sich mit den Rockern einlasse, sei bis ans Lebensende gebunden.

Aufgewachsen waren die Brüder in Rostock. Nach der Scheidung der Eltern sei die Mutter mit ihnen 1989 nach Hohenschönhausen gezogen. Alle drei hätten die Trennung vom gewalttätigen Vater als Erleichterung empfunden. Doch bald schien die Mutter mit der Erziehung überfordert zu sein. So schildert es jedenfalls Thomas B.: Sein Bruder habe mehrere Ausbildungen als Maler und Schlosser abgebrochen. „Michael kam mit keinem klar, weder mit Lehrmeistern noch mit Freundinnen. Er schlug immer gleich zu und ging auch auf Trambahnfahrer los.“

Im Unterschied zu Thomas landete Michael jedoch nie im Gefängnis. „Vielleicht wäre eine Haftstrafe gut gewesen. Mir hat sie jedenfalls geholfen“, sagt Thomas K. und erzählt, dass sein arbeitsloser Bruder dann vor sechs Jahren bei den Hells Angels erstmals Anerkennung fand. Die hätten ihm gleich eine tolle Maschine gegeben, deren Preis er nach Aussagen seines Bruders „irgendwie“ abarbeiten musste. „Darüber durfte er zwar nie sprechen, aber er redete immer stolz vom stufenweisen Aufstieg innerhalb der angeblich so wunderbaren Familie.“

Viel Geld dürften ihm die Jobs bei den Hells Angels, die vor allem in der Türsteher- und Drogenszene aktiv sind, aber nicht eingebracht haben. So erzählt eine Nachbarin: „Der musste seine Wohnung an seinen Kumpel vermieten, um Geld für die Motorradraten aufzubringen.“

Dort, wo Michael B. in der Nacht zum Freitag an Schuss- und Stichverletzungen starb, stehen jetzt Kerzen und auf Pappe gemalte Abschiedsbotschaften. Von den Hells Angels gibt es keine Hinweise. „Die haben sich bisher nicht einmal bei meiner schwerkranken Mutter gemeldet, der das Geld für einen Grabstein fehlt“, schüttelt Thomas K. den Kopf. „Sie werden schon ihre Gründe haben.“

Von den drei Männern, die sich am Sonntagmittag im Vereinsheim der Angels am Spandauer Damm aufhalten, kann keiner etwas sagen: Sie leiden noch sichtlich unter den Nachwirkungen der letzten Fete. Eine dunkelhaarige Frau wimmelt ungebetene Gäste freundlich ab.

Die meisten Anwohner wissen gar nicht, dass die Hells Angels hier ihr Vereinsheim haben. Gegenüber auf dem großen Spielplatz toben Kinder. Von ihren Eltern hatte keiner je Zoff mit den Rockern. Und die direkten Nachbarn beschweren sich höchstens ein, zwei Mal im Jahr. Da wird es etwas lauter, weil die Hells Angels ihre Jahrestreffen abhalten.

„Diese Clubs stellen sich im Kiez als die lieben, netten Motorradfreaks mit Grill- und Freiheitsromantik dar“, sagt ein Polizeisprecher: „Ihre Geschäfte sind zwar hochkriminell, aber so lange ihnen die Normalbürger nicht in die Quere kommen, haben diese nichts zu befürchten.“

Die Taktik geht offenbar auf: Wenn sich Anwohner beschweren, dann meist über die Polizeipräsenz bei größeren Rockertreffen. Ansonsten hört man sowohl im Umfeld der „Bandidos“, beispielsweise in Reinickendorf, als auch bei den Hells Angels in Charlottenburg fast nur Positives. So berichtet eine Wirtin, dass ihr ein Rocker geholfen habe, als einmal ein Gast ausfällig wurde. Und eine Anwohnerin vom Klausenerplatz erzählt, dass die Angels im letzten Jahr sogar zu einer Autorenlesung eingeladen hatten: „Ich war total begeistert von dem Lokal und der freundlichen Atmosphäre“, sagt sie. Vorgelesen wurde Knast-Literatur.

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