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Bankpleite: Beraten und verkauft

Bei der Pleite der Bank Lehman Brothers in New York verloren auch deutsche Kleinanleger Geld. Im Maritim-Hotel trafen sich diese, um Möglichkeiten von Klagen zu diskutieren. Ein bisschen Misstrauen spielte aber auch hier mit.

Recht weit vorne im Saal „Dublin“ sitzt ein Mann, der seit Mitte September nachts schwitzt. Mitte September ging die Bank Lehman Brothers in New York pleite. Deshalb geht Klaus Dollerschell an diesem Sonnabend teppichgedämpften Schrittes zum Saalmikrofon. „Ein Zertifikat“, sagt er, „das klingt für einen Techniker wie mich nach TÜV.“ Er hat sich sicher gefühlt. Er hat es gekauft.

Als sich Mitte September der Schlund auftat, verschwanden darin auch größere Beträge deutscher Kleinanleger. Unter Umständen lassen sich jedoch mit einer Klage hier gegen seine Bank oder in den USA einzelne Summen dem Nichts wieder entreißen. Wegen dieser Möglichkeit sind mehr als 200 Leute ins Maritim-Hotel in der Stauffenbergstraße gekommen, zur Info-Veranstaltung der „Interessengemeinschaft Lehman-Brothers-Zertifikate“, koordiniert von der Bremer Anwaltskanzlei Robert, Kempas, Segelken, spezialisiert auf Kapitalanlagerecht.

Die Anwälte wollen vorne alle Fragen beantworten, außer denen zu den Anwaltskosten: „Keine Fragen, keine Antworten.“ Doch alle sind dünnhäutig geworden. „Wenn Sie schon so anfangen!“, brüllt eine Frau aus dem Saal. Rasch zieht ein leicht aggressiver Unterton ein, eine aufgeheizte Kaffeefahrten-Stimmung, als stünden vorne die Rheumadecken-Verkäufer. Man muss ja nur den verlorenen Anlagebetrag zum Streitwert deklarieren, und schon ist am Nichts wieder etwas zu verdienen.

Eingeladen hat auch der DVS, der „Deutsche Verbraucherschutzring“ Erfurt. Misstrauen keimt auf: Warum ist deren Vorstand zugleich Inhaber einer spezialisierten Kanzlei? „Sammelstellen für Mandanten“, glauben viele.

„Ich habe an der Durchsetzung Ihrer Forderungen nicht die geringsten Zweifel“, sagt Anwalt Segelken entschlossen. Bitteres Auflachen. Die Anwälte erklären dann den Unterschied zwischen Anlagen und Einlagen, Kunden und Gläubigern. Sie erklären die juristisch „scharfen Schwerter“ Prospekthaftung und Beraterhaftung. Warum man eventuell auch am Insolvenzverfahren in Amerika teilnehmen soll, möglichst per Anwalt. Segelken liest aus dem Wertpapierhandelsgesetz vor, bis jemand „aufhören“ schreit.

„Einen Kaffee trinken gehen?“ Klaus Dollerschells Entsetzen hat Gründe. „Bei meinem Berater habe ich auch Kaffee gekriegt“, im März 2007 bei der Citibank. Dann besaß er – 68 Jahre, geboren im Wedding, mit 14 Lehre im Maschinenbau, später Meister, Jahrzehnte im Turbinenbau – das „Top Zins Zertifikat III“ im Wert eines mittleren Neuwagens, bezahlt aus der Ausschüttung der Lebensversicherung. Folgender Aussage hat er im Beraterprotokoll voll zugestimmt: „Bei meiner Anlage steht ausschließlich Sicherheit im Vordergrund.“

Er sitzt in einem Sessel der Hotelbar, neben sich den roten Aktenordner. „Wissen Sie, als Rentner hat man plötzlich Summen zu verwalten, die man das ganze Leben nicht auf einem Haufen gesehen hat. Die Doppelhaushälfte ist abbezahlt, die Lebensversicherung schüttet aus. Man muss anlegen, ach was, man wird dazu gedrängt.“ Es fallen Sätze wie: „Sie wären ja dumm“, „Sie verschenken Geld“ und „Ich habe da was für Sie“, erinnert er sich. Dollerschell beobachtet nun mit messbar steigendem Blutdruck, wie man sein Vertrauen in Talkshows „Gier“ nennt.

Die Geschädigten, die ihren Beratern vertraut haben, müssen jetzt wieder jemandem vertrauen, der an ihnen verdient. „Ich werde das Gefühl der Verunsicherung nicht los“, sagt Dollerschell. Es ist wie damals. Er könnte hinübergehen zu den Anwälten, sie sitzen hinten noch in der Bar. Er überlegt es sich anders. „Ich bin denen unterlegen.“ 

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