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Berlin: Barbara Petersen (Geb. 1951)

Die Frage war ihr keineswegs zu albern: „Kann denn Lachen Sünde sein?“

Könnt Ihr euch vorstellen, mal im Museum zu hängen?“, fragte der Interviewer. Da musste sie lauthals lachen. „Ja, wie denn?“, entgegnete sie, „als Gipsabdruck?“

„Wir waren ja schon im Museum!“, warf Kurt Jotter, ihr Bruder im Unernst, dazwischen. „Im Historischen Museum sogar, in Gestalt von zwei Lachsäcken.“

Aktion: Der Lachanschlag auf Helmut Kohl. Still und ergriffen saßen die 750 Festgäste bei der Proklamation des Deutschen Historischen Museums in Berlin, als plötzlich schallendes Gelächter ertönte. Hans-Christian Ströbele hatte zwei Lachsäcke in die Veranstaltung geschmuggelt. Die geistige Urheberschaft übernahm das „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“. Die Störung der Festgemeinde wurde mit den „vielen Peinlichkeiten“ begründet, die „den Weg zur Errichtung dieses deutschen Geschichts- Entsorgungstempels pflastern“.

„Warum machst du so was eigentlich?“, fragte der Interviewer. Warum all diese Kunst-Aktionen, die bei den linken Rechthabern ähnlich verbiestertes Kopfschütteln auslösten wie bei den politabstinenten Hochnäsigen der Kunstschickeria.

Ihre Antwort: „Ich will es! Also mach ich es.“ Der politische Anspruch war keine reine Kopfsache bei ihr, das war eine Herzensangelegenheit, Bauchgefühl, etwas so existentiell notwendiges, dass sie nur unter Lebensgefahr darauf hätte verzichten können.

Lachen war ihr Leben. Kopfsache war das Organisieren, das Ordnung halten, das konnte sie gut, aber noch besser war sie darin, ihrer Vitalität eine politische Bühne zu schaffen.

Wer je eine K-Gruppe im Blabla-Modus erlebt hat, bei Diskussionen, die Stunden währen, weil jeder alles besser weiß, der spürt am mürben Sitzfleisch, worunter die radikale Opposition leidet: systemische Humorlosigkeit. Eine Krankheit, die notwendig einhergeht mit einem chronischen Mangel an Selbstironie, argumentresistenter Überheblichkeit und dem völligen Fehlen von Sprachwitz, was durch Monologisieren nur sehr unzulänglich kompensiert wird.

„Kann denn Lachen Sünde sein?“ Die Frage war ihr keineswegs zu albern, denn sie rührte geradewegs an das Selbstverständnis der Linken. „Wer eine Gesellschaft will, die geprägt ist von Phantasie, Kreativität und Lebenslust, der sollte sie genau damit erkämpfen.“

Kann denn Lachen Sünde sein: Das Kampf-Kollektiv würde darüber abstimmen, das Ergebnis stünde vorab fest, Ja, Lachen ist bourgeois – und gesellschaftlich irrelevant, und ideologisch verdächtig. Die Befürworter würden zur Rede gestellt, und notfalls rhetorisch eliminiert, oder durch Totschweigen aussortiert.

Das Paradox der Linken, die bessere Gesellschaft zu wollen, aber die langweiligere zu leben. Die Rechthaberei der Orthodoxen nervte Barbara Petersen schon deshalb, weil sie dahinter einen chauvinistischen Hang zur Wichtigtuerei erkannte. Die Männer geben ja gern den Ton an, rechts wie links. Ihr Glück war, dass sie Kurt Jotter traf, Jotters Glück war, dass er Barbara als Mitstreiterin fand, beider Glück war, dass sie eine Menge Unterstützer fanden.

Aktion: Abriegelung Kreuzbergs anlässlich des Reagan-Besuchs 1987. Der „Anti-Kreuzberger Schutzwall“ wurde am 17. Juni auf der Kottbusser Brücke errichtet, an die Passanten wurden selbst angefertigte Passierscheine ausgegeben mit dem Vermerk: Das „Freiwild-Gehege SO 36“ dürfe nur auf eigene Gefahr betreten werden. Die Punks rissen sich um die Kugelschreiber, um die Scheine auszufüllen.

Sentimentales Memory für Altlinke? Wer in dieser ziemlich bunten Fibel des Widerstands blättert, der findet eine Menge Einfälle, die das Drehbuch abgeben könnten für neue Aktionen gegen die Geistesblockaden der Jetztzeit.

Aktion: Die Macht von Bildschirmen über das Leben ausleuchten – „Relation Chips“. Der bildschirmgesteuerte Mensch – das war 1985, als alle noch glaubten, der Computer will doch nur spielen, ein utopischer Warnruf, zukunftsängstlich. Nur noch Geräte kommunizieren miteinander, wer glaubt denn so was? Viel zu dumm die Maschinen. Heute ist es Realität: Menschen, die an der Leine ihres Handys durch die Stadt gehen, den Kopf übers Display gesenkt, unwillig sich ihrer Unmündigkeit zu entledigen. Viel zu dumm die Menschen.

Kunst ist permanente Bildstörung. Den Stecker ziehen, das Denken von Automatismen befreien.

Aktion Muttertag: Verwelkte Blumensträuße wurden vom Friedhof geholt und den verdutzten Männern in die Hand gedrückt. Klare Botschaft: Mit ein paar Blümchen ist es nicht getan. Wer die Notwendigkeit solcher Aktionen begreifen will, muss sich in den Abendschauen der Siebziger und Achtziger ansehen, wie gockelig die Männer seinerzeit die Forderungen der Feministinnen verlachten.

Aktion: Jubel-Parade auf dem Kurfürstendamm zur 750-Jahr-Feier der Stadt. An die 30 000 Schaulustige, 5000 Gratulanten, die einem überdimensionalen Berliner Bären folgten, im Schlepptau das Spruchband: „Nichts geht über Bären-Macke“ und „Rettet die Feuchtgebiete – erhaltet den Berliner Sumpf!“

Aktion „Berlin wird helle“. Zusammen mit dem Berliner Mieterverein und anderen Künstlern wurde gegen den Wegfall der Mietpreisbindung demonstriert. Bilder wurden an Häuserfassaden und Brandwände projiziert. Protestschlaf „Jetzt liegen wir auf der Straße“. Aktion: Feierliche Begrüßung des 50 000. Kriegsdienstgegners , großer Bahnhof am Bahnhof Zoo. Protest auf der Berlinale: Fernsehgeräte aus denen Blut fließt, Protest gegen Kriege, die von den Medien als Videospiele inszeniert werden – Protest gegen Filmfestspiele, die das Leben ausblenden.

Aktion: „Das Osterei des Kolumbus“. Anlässlich des Klimagipfels wurde heiße Luft in Dosen verkauft. Dem Bogenschützen von Sanssouci boten sie zum Ziel ein mit Leuchtfarbe bemaltes Herz. Entmilitarisierung. Das tolerierte die Parkverwaltung nicht. Verbot. Also boten sie den Touristen Operationsüberziehschuhe zum Schutz der Potsdamer Parkflora an, die von dem Bazillus „Floraglittus“ akut bedroht schien – und hatten wieder die Lacher auf ihrer Seite.

Aktion: Ein „Pfeffer-Klistier-Gebläse“, das jedem Abgeordneten auf den Allerwertesten zielt, um mehr Leidenschaft in die Kulturdebatten zu bringen.

Spatenstich für einen 900 Kilometer langen Asyltunnel vom rumänischen Temesvar nach Berlin.

Aktion gegen die Jahrestagung von IWF und Weltbank, 1988. Gewalt bringt die falschen Schlagzeilen. Also Parolen mit Witz: „Die Scheinheiligen kommen – In Gold we trust “. „Ob Hippies oder Punker – wir scheißen auf die Banker“. Die Kraft des Widerstands musste nicht immer deckungsgleich mit der Kraft des Reims sein. Aber die Parole des Büros: „Bürger beaufsichtigen Banker“ war hellsichtiger als die hochnäsige Finanzpolitik seinerzeit, 20 Jahre vor der großen Finanzkrise.

Nichts holt Tyrannen und Rechthaber schneller vom Podest als das Gelächter. Des Kaisers neue Kleider: das Märchen wird nicht alt. Barbara Petersen liebte Märchen. Ihre und Kurt Jottas K-Philosophie: Das Kind in sich bewahren, und ihm zuhören.

„Wir haben unsere Spiele auf der Straße gespielt.“ Spiele, von denen sie auf Dauer nicht leben konnten. Der Plakatverkauf lief gut, aber immer wieder taten sich Finanzierungslöcher auf.

Sie betrieb Cafés, schrieb Artikel, war Geschäftsführerin der Organisation „Reporter ohne Grenzen“, deren Jahrbücher sie einige Jahre verantwortete. Sie war Mutter, sie war Freundin, und Partnerin, vor allem war sie ein Mensch, der sich ganz ausleben wollte, gegen alle Widerstände.

„Verfremdet die Medien, Ämter und Behörden! Montiert euch eure Hampelmänner selbst! Lasst die Puppen tanzen!“

Bis zum Schluss. „Kommt, besucht mich, sonst sterbe ich noch vor Langeweile“, schrieb sie ihren Freunden, als es zu Ende ging. Sie hat gern gesungen gegen die Angst: „Grün, grün, grün, sind alle meine Kleider“, „Kann denn Liebe Sünde sein“.

Die Diagnose: Creutzfeldt-Jakob- Krankheit. Eins zu einer Million. Sie hat nicht gejammert über das Los. Was hilft, wenn nichts mehr hilft? Eis essen gehen. Die Hand eines Freundes, einer Freundin halten. Sehr fest halten. Sich gemeinsam all der Späße, all der guten Tage erinnern. Das Lachen ist ihr nicht vergangen.

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