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Berlin: Bart aber herzlich

Zugewinn an Männlichkeit oder ironische Reminiszenz an die 70er: Die Szene trägt Haar im Gesicht. Inzwischen gibt’s dazu die passenden Partys

Der junge Mann in Kapuzenpullover und Jeans, der am Sonnabendmorgen an der Tramhaltestelle wartet, hat jetzt einen. Der äußerst modebewusste Friseur in Prenzlauer Berg plötzlich auch. Sie tragen Vollbärte. Weil sie sich entschieden haben, dass das jetzt mal sein muss: Bart tragen, wohlgemerkt. Nicht weil sie zu faul sind, sich zu rasieren. Noch vor ein paar Monaten, sagen beide, wäre ihnen das im Traum nicht eingefallen. Vielleicht sollte man an dieser Stelle noch sagen, dass es hier um gepflegte Vollbärte geht. Ein Bartmodell, das in der Kategorie Herren zwischen 20 und 40 Jahren zuletzt nicht als sonderlich schick galt. So ungefähr seit den 80er Jahren nicht.

Der junge Mann an der Tramhaltestelle ist sehr überrascht, als man ihn anspricht. Erst winkt er ab. Neuer Trend, Jungmänner mit Vollbart? Es scheint ihm peinlich zu sein. Dann aber gibt er doch Auskunft über den kastanienbraunen Bart, den er erst seit ein paar Wochen hat. „Hat mir einfach gefallen. Außerdem ist es ein politisches Statement. Diese ganzen glattgesichtigen ewig-junggebliebenen Erfolgsmenschen in den Magazinen sind mir auf die Nerven gegangen.“ Er hatte das Bedürfnis, anders auszusehen. Sein Bart, so darf man das deuten, soll heißen: noch nicht saturiert.

Seine Freunde, Mitte zwanzig wie er, haben anfangs gewitzelt, das Proletentum sei wohl wieder auferstanden. Aber eigentlich fanden sie den Bart auch gut. Schon der Botschaft wegen. Viele dieser Freunde wohnen in Friedrichshain, links-alternatives Milieu: DJs, Musiker, Maler. Und da der junge Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sich aus Prinzip einen Bart hat wachsen lassen, ist es nur folgerichtig, dass für den Bart selbst ein paar Prinzipien zu gelten haben: Färben kommt nicht in Frage, Wildwuchs wie bei Marx oder den Studenten und Lehrern in den 60ern und 70ern auch nicht. Und: Wenn die noch Glattgesichtigen den Bart demnächst tatsächlich als Trend im großen Stil entdecken, dann kommt seiner wieder ab.

So könnte es kommen. Jedenfalls sagt das Andi. Andi ist Anfang dreißig, er schneidet Haare in einem angesagten Friseurladen nahe dem Kollwitzplatz. Er trägt einen akkuraten Vollbart, der scharf an der Kinnlinie endet. „Find’ ich männlich“, sagt er, „es gefällt mir einfach.“ Er glaubt, dass viele Männer in seinem Alter das ähnlich sehen wie er. „Der Bart ist so eine Art Gegentrend zu Metrosexuellen.“ Das soll in etwa heißen, dass ein Mann heute einen Bart tragen darf, ohne dass er deswegen gleich als Macho gilt – oder aber als unbelehrbarer Nachzügler der Generation Müslimix.

Dass der Vollbart eine Art Marktlücke für Trendsetter ist, ist durchaus keine Einzelmeinung. Man sieht den Vollbart bei Musikproduzenten, Designern, DJs, Grafikern, Stylisten. Sie feiern die Exklusivität ihrer Gesichtsbehaarung mit Bart-Partys wie am vorigen Freitag in der „Möbelfabrik“ in der Brunnenstraße. Und Soziologen, die sich mit Popkultur beschäftigen, sagen: Gerade weil der Vollbart ein so mieses Hippieding war und lange Zeit aus der Mode, könne man ihn jetzt benutzen. Das glaubt etwa die Frankfurter Kultur-Professorin Birgit Richard. Allerdings, die Herren dürften nicht nachlässig gekleidet sein, sonst sei der Bart nur Ausdruck von Ungepflegtheit – „nicht aber von Unangepasstheit“.

Bart, unangepasst. Das sind auch die Bausteine, aus denen sich Lutz Giese einen seiner Glaubenssätze gebaut hat: „Unangepasst ist, wer zu allen Zeiten Bart trägt, ganz egal welche Mode gerade herrscht.“ Dazu muss man wissen, dass Giese der Vorsitzende des Berliner Bartclubs ist. Und dass er einen Schnauzbart mit 30 Zentimetern Spannweite trägt, den er auf diversen internationalen Wettbewerben vorführt. Allerdings gibt es in der Altersgruppe zwischen 20 und 40 nur wenig Nachahmer.

Noch. Nun könnte es aber sein, dass schon die nächste Bartbewegung ansteht: der Trend zum Schnäuzer. Der Kollege aus der Kulturredaktion jedenfalls kam aus seinem Urlaub mit einem beeindruckenden Exemplar dieser Spezies zurück. „Erst war es nur ein Versuch“, sagt er, „dann hat mir der Bart gefallen und meiner Frau auch.“ Und inzwischen gibt es auch einen theoretischen Unterbau: Der Schnäuzer, sagt der Kollege, sei ein „ironisches Zitat“. So ein Ding kann man eigentlich nicht tragen, kein Polizist und kein Fußballer würde das heute tun. Also sollte man. Schleunigst.

Marc Neller

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