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Berliner Pflanze. Ben Wagin, der immer in seinem Overall auftritt, lebt seit 1955 in Berlin. Der Künstler hat über 50 000 Gingkobäume geplanzt – von Moskau bis Vilshofen.Fotos: pa/dpa (2), Amin Akhtar/laif

© picture-alliance/ dpa

Baumpate: Ein irrer Typ

Lob von Grün zu Grün: Politiker Michael Cramer gratuliert Ben Wagin, dem Baumpaten, zum 80. Geburtstag.

"Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen." Dieses Zitat, das Luther zugeschrieben wird, ist zum Lebensmotto geworden: Ben Wagin kann mit seinen 80 Jahren auf 50 000 von ihm gepflanzte Ginkgobäume zurückblicken – von Moskau bis nach Vilshofen. „Baumpate“ ist der fast schon offizielle Beiname des Aktionskünstlers, dessen Werke zum Nachdenken über die durch den Menschen veränderte Natur anregen wollen.

Wo ginge das besser als in einer Stadt wie Berlin mit ihren Narben aus Krieg und Teilung. Ben Wagin hat sich dieser Brachen angenommen. So sichert er zum Beispiel den Bestand längst ausgestorben geglaubter Arten im Schatten des Potsdamer Platzes – hinter dem Technikmuseum im „Anhalter Garten“ am Gleisdreieck. Bekannter dürfte allerdings eine Fläche sein, die 1989 am Ende der Welten lag, heute allerdings im Herzen des neuen Regierungsviertels in Berlin: das „Parlament der Bäume“.

In der Wendezeit nahm sich Ben Wagin dieses ehemaligen Grenzstreifens an und schuf ein beeindruckendes Kunstwerk. Es zeigt, dass er auch damals über den Tag hinaus dachte, als er mit dem „Parlament der Bäume“ die Erhaltung authentischer Teile der Mauer sicherte. Damals war dies keine Selbstverständlichkeit. Heute wird allgemein beklagt, dass nur noch wenige authentische Reste vorhanden sind.

Ben Wagin benutzte damals die einzelnen Segmente der Hinterlandmauer – die Grenze verlief am westlichen Spreeufer –, um auf ihnen das Jahr und die Anzahl der Mauertoten aufzulisten und ergänzte die Dokumentation durch Bilder und Gedichte. Zu dem Kunstwerk gehörten drei Bereiche: die 16 Bäume, die von den Ministerpräsidenten gepflanzt wurden und die 16 Bundesländer symbolisieren sollten, das grüne Denkmal „Europa Erde Werde“, das dem Neubau des Bundespressehauses weichen musste, und das Ensemble der 400 Bäume, die im Herbst 1990 anlässlich der ersten Plenarsitzung des wiedervereinigten Bundestages im Reichstagsgebäude gepflanzt wurden.

Der Bau des Regierungsviertels hat vor Ben Wagins Werk nicht haltgemacht. Heute stehen von den ursprünglich 400 Bäumen noch 100. Auch der Kolonnenweg und insgesamt 58 Mauerteile befinden sich noch an originaler Stelle. In Abstimmung mit dem Künstler wurden Teile seines Mauermahnmals in die Bundestagsbibliothek integriert.

Aber nicht nur kulturpolitisch ist Ben Wagin eine Besonderheit. Auch sein Umgang ist gewöhnungsbedürftig, denn er duzt jeden – ohne Ansehen der Person. So redet er mit und spricht er von Klaus (Töpfer), Rita (Süssmuth) und Richie (von Weizsäcker), die sich alle für sein Parlament der Bäume eingesetzt hatten. Nur die kürzlich verstorbene Hanna-Renate Laurien (CDU) bezeichnet er voller Respekt als „Mutter“. Diese wiederum hat den Künstler am treffendsten charakterisiert: „Ben Wagin ist einer dieser irren Typen, die diese Stadt braucht wie die Luft zum Atmen.“ Wie viele Berliner hat sie sehen können, wie Ben Wagin leise, aber beständig das Bild der Stadt mitgeprägt hat. Sei es durch ein gestrandetes Schiff auf dem Mittelstreifen der „Linden“ oder durch seine Mitwirkung an der Galerie Weltbaum II am S-Bahnhof Savignyplatz: Das erste große Wandgemälde in West-Berlin – selbstverständlich ein riesengroßer Baum – an der Brandmauer eines Hauses in der Bachstraße hat er 1986 geschaffen und bewahrte das Haus vor dem Abriss. Es sollte eigentlich einer Autobahn weichen, die parallel zur Stadtbahn geplant war.

Seit 1955 lebt und arbeitet der in Posen geborene Wagin in Berlin. Das Bundesverdienstkreuz hat er inzwischen ebenso erhalten wie den Berliner Naturschutzpreis. Auch heute ist er noch aktiv: 2005 hat er die „Sonnenboten“ ins Leben gerufen und zusammen mit Schulen und Gemeinden rund vier Millionen Sonnenblumenoasen geschaffen.

Darin dürfte er sich genauso bescheiden und eigen bewegen wie im „Parlament der Bäume“, wo man ihn häufig in seinem unvermeidlichen grünen Overall bei der Pflege des Mauermahnmals antreffen kann. Es wäre ein schönes Geschenk, wenn der Bund als Eigentümer dem Berliner Senat erlauben würde, das „Parlament der Bäume“ unter Denkmalschutz zu stellen. Dann hätte die Erinnerung an die Spaltung der Stadt und ihre Überwindung auch künftig im Regierungsviertel einen würdigen Platz.

Der Autor sitzt für Bündnis 90/Grüne im Europäischen Parlament. Zuvor war er viele Jahre lang Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses.

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