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Mrozek

© dpa

Bedrohte Wörter: Von der Ehrlichkeit des Schlüpfers

Tagesspiegel-Autor Bodo Mrozek kämpft um bedrohte Wörter. Jetzt hat er die schönsten ausgewählt.

Wir sind nun mal so: Viele Dinge entgehen unserer Aufmerksamkeit, bis irgend jemand sie als „bedroht“ einordnet. Die Rotbauchunke, der dreigestirnte Natternschwengel, der Regenwald. Bedroht? Da sehen wir hin, es könnte das letzte Mal sein. Dem Berliner Autor Bodo Mrozek ist es zu verdanken, dass auch Worte deutscher Sprache in den Status des Bedrohtseins aufgestiegen sind. Er sammelt sie mit der Akribie eines Insektenforschers – und hat sie mit dem Zeitgeistphänomen des Rankings zu einem Wettbewerb verschmolzen.

Nun endlich kennen wir die zehn schönsten bedrohten Wörter unserer Sprache, Kleinodien allesamt. Kein Wunder, dass das „Kleinod“ nun auch die Liste anführt: Ein Schmuckstück, im übertragenen Sinn aber auch ein unscheinbarer Gegenstand, dessen Wert erst auf den zweiten Blick erkennbar ist. „Auch ein Wort kann zu einem Kleinod werden“, begründet Mrozek die Juryentscheidung, „denn oftmals muss man es länger drehen und wenden, um seinen ganz besonderen Wert zu verstehen“.

Angefangen hat Mrozeks Suche erst 2004: Das war das Jahr, in dem das Wort „Habseligkeiten“ zum „schönsten Wort deutscher Sprache“ gewählt wurde. Mrozek schrieb im Tagesspiegel eine Glosse, in der er empfahl, das Augenmerk doch auch auf Wörter zu richten, die langsam aus der Sprache verschwinden. Zuerst traktierten ihn Kollegen mit Vorschlägen, dann entstand ein Buch, eine Internetseite kam hinzu, und die Resonanz wurde immer größer.

„Das war, als wenn ich eine Blase angestochen hätte“, berichtet Mrozek – kein Wunder, dass die Jury, zu der außerdem die Schriftsteller Eva Menasse, Jakob Hein, der Essayist Michael Angele und der Sprachforscher Marco Scheider gehörten, mit Vorschlägen geflutet wurde. Sie hatte über knapp 3000 Einsendungen mit rund 2000 verschiedenen Begriffen zu befinden.

Der Favorit der Einsender, der 35 mal genannte „Backfisch“, schaffte es nicht unter die ersten zehn, auch das 28mal vorgeschlagene Wort „hanebüchen“ musste mit einer lobenden Erwähnung vorlieb nehmen. Ob die beiden Begriffe einen besonderen Nachteil im Sinne der Fragestellung besitzen, wurde nicht geklärt, „es hat sich einfach keiner der Juroren besonders dafür erwärmt“, wie Mrozek sagt. Ähnlich erging es dem zweifellos bedrohten DDR-Wortschatz, mit dem der Juror Jakob Hein besonders vertraut ist. „Wir hatten keines dieser Wörter in der engeren Wahl“, erinnert sich Mrozek, „es wurde unter diesem Aspekt auch gar nicht diskutiert“. So ist wohl zu befürchten, dass „Urst“, „schau“ oder „jetze“ weiterhin ohne viel Aufsehen dahinscheiden werden.

Die Juroren mussten zunächst den gesamten deutschen Sprachraum durchmessen, um überhaupt den Status des Bedrohtseins zu prüfen. „Fracksausen“, die bildhafte Variante des Lampenfiebers, ist für die Norddeutschen schon weitgehend erledigt. Mrozek: „Ich konnte damit zunächst gar nichts anfangen.“ Doch die Österreicherin Menasse fand es ganz alltäglich; generell haben sich besonders in der mehrsprachigen Schweiz viele alte Begriffe französischer Herkunft bewahrt, die damit nicht in den Status des Bedrohtseins aufsteigen durften.

Platz zwei der Liste wird dennoch von einem französischen Import besetzt: „Blümerant“, Eindeutschung von „bleu mourant“, jenem blassen, sterbenden Blau, das vom Porzellan Friedrichs II. seinen Weg in die Sprache nahm und jenes Gefühl beschrieb, das sich einstellte, wenn eine Dame ihr Korsett zu eng schnürte - ihr wurde dann zwar nicht gleich schwarz, aber doch leicht blassblau vor Augen. Der „Dreikäsehoch“ folgte, vermutlich auch, weil die Jury das Wort als Idealkandidaten für Platz drei ansah.

Die weiteren Plätze wurden mal nach dem Wohlklang desWortes, mal nach der inhaltlichen Schönheit vergeben – was jeweils zutreffen mag, liegt im Auge des Betrachters: Labsal, bauchpinseln, Augenstern, fernmündlich, Lichtspielhaus, hold, Schlüpfer. Der Schlüpfer gewinnt in der Begründung der Juroren unerwartete Qualitäten: „Ein durch und durch ehrliches Wort“ heißt es, das das durch Modebegriffe wie Tanga, String oder Boxershort entfremdete und überhöhte Kleidungsstück gewissermaßen erde. „Auch schwingen Kindheitserinnerungen mit.“ Eva Menasse entdeckte sogar „erotische Qualität“ darin.

Keine exakte Wissenschaft, aber ein Spiel mit Sinn, wie Initiator Mrozek findet. Es sei gelungen, das Interesse auf den Bedeutungswandel und die Schönheit mancher Wörter zu lenken, nicht im Sinne weltferner Deutschtümelei, sondern als „Bekenntnis zur Internationalität der deutschen Sprachgeschichte“.

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