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Berlin: Begegnung in der Schlammsuhle

In freier Natur ist das Panzernashorn vom Aussterben bedroht, in Berlin allerdings lebt es sicher und vermehrt sich prächtig

Im Dickhäuterhaus des Tierparks haben die Nashörner ihre eigene Fangemeinde. Urzeitlich scheinen die massigen Tiere, deren Namen, für sie wenig schmeichelhaft, schon mal dafür herhalten muss, einen schwerfälligen Menschen zu bezeichnen: „Du Rhinozeros!“ Und dabei stimmt der Vergleich nicht einmal. Denn das Nashorn ist zwar bis zu drei Tonnen schwer, erreicht aber ein Tempo von bis zu 50 Stundenkilometern. In der Tierwelt kommt ihm da nicht mal ein Löwe gern in die Quere, auf das spitze Nasenhorn ist kein Tier scharf. Der Mensch dafür um so mehr. Zu gut, allerdings illegal, lassen sich die Hörner verkaufen – geschnitzt als kunsthandwerkliches Souvenir und pulverisiert als Bestandteil der asiatischen Medizin.

Da freut man sich in den zoologischen Einrichtungen über jedes kleine Rhinozeros, das zur Welt kommt – gleich von welcher Nashornart. Im Tierpark gehören die Panzernashörner zu den Zuchterfolgen einer in Freiheit bedrohten Art.

Der Friedrichsfelder Nashornsegen begann mit Jhansi. Und die gehört dort nicht mal richtig dazu, sollte doch die 1990 geborene Kalifornierin eigentlich Wahl-Stuttgarterin statt Zufalls-Berlinerin werden. Im Oktober 1994 war die Panzernashornkuh aus dem San Diego Wild Animal Park in Kalifornien nach Deutschland gekommen, Reiseziel war die Wilhelma Stuttgart. Dort hatte ihr inzwischen eine Artgenossin als nepalesisches Staatsgeschenk den Zooplatz streitig gemacht.

So wurde Jhansi von den Stuttgartern im Tierpark Friedrichsfelde eingestellt, wie die Zoologen sagen. Dass die Kostgängerin auf Zeit ein wertvolles „Gastgeschenk“ mit sich führte, war wenige Monate später die zoologische Überraschung in Berlin, Stuttgart und San Diego. Der Revierpfleger traute am 21. Januar 1995 seinen Augen nicht – im Dickhäuterhaus gab es ein Panzernashornbaby. Betty hieß Jhansis Überraschungsnachwuchs, von dem niemand etwas geahnt hatte.

Jacob hieß nach dem Cottbuser Zoodirektor Klaus Jacob neun Jahre später der etwa 60 Kilo schwere nächste Spross von Jhansi. Der Erzeuger war diesmal bekannt – das derzeit größte Panzernashorn Europas. Yodah heißt der im Berliner Zoo lebende Bulle, an dem sie mehr Gefallen fand, als an dessen Kumpel Belur im Tierpark.

Der machte dafür Jhansi mit ihrer Betty zur dreifachen Oma. Belur und Betty können sich gut riechen – erste Kontakte nahmen sie wie alle Nashörner in der Schlammsuhle der Außenanlage auf – dem sozialen Treffpunkt, an dem die Tiere duftende Spuren hinterlassen. Direkte Begegnungen sind dabei eher selten – Panzernashörner gelten als Individualisten. Auch die Väter gehen nach der erfüllten Zweisamkeit sofort wieder ihrer Wege.

Mit ihrem Erstling war Betty dann leider unabsichtlich zu rabiat umgegangen – das Junge überlebte einen tolpatschigen Fehltritt der Mutter nicht. Auch der 2004 geborene Patna nahm mit einem durch die Mutter gebrochenen linken Vorderbein Schaden. Als ihm die heftige Betty auch noch den Gipsverband runterriss, wurde Patna mit der Flasche aufgezogen. Bis heute ist er gegenüber seinen Artgenossen auffällig klein.

Bei der Aufzucht der im vergangenen November geborenen Sati scheint bei Betty endlich der Groschen als Panzernashornmutter gefallen zu sein – bis jetzt rückte sie ihrer Jüngsten nicht versehentlich zu sehr auf die faltige Pelle, wenn diese bei ihr trank. Bis zu zwei Jahren säugen Muttertiere, wobei der im ersten Lebensjahr schnell wachsende Panzernashornnachwuchs recht bald selbstständig wird. Auch Sati – die Jüngste aus dem Jhansi-Clan, dessen Wachsen der Tierpark eigentlich dem Zufall, besser gesagt, dem nepalesischen Staatsgeschenk in Stuttgart verdankt.

Heidemarie Mazuhn

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