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Berlin: Behindertengerechte Wohnungen sind Mangelware

In Berlin gilt eine neue Bauordnung. Doch ob sie genügend Barrierefreiheit schaffen wird, ist fraglich

Ein Leben ohne Barrieren – behinderte Menschen träumen von Wohnungen, die ihren Bedürfnissen angepasst sind. Doch noch immer sind solche Bleiben ein rares Angebot – auch in Berlin. Seit Anfang des Monats gilt zwar eine neue Bauordnung. Sie regelt, dass in Mehrfamilienhäusern mit mehr als vier Parteien die Wohnungen eines Geschosses über den Haupteingang barrierefrei zugänglich und mit dem Rollstuhl befahrbar sein müssen. Doch in die oberen Stockwerke kommen die Rollstuhlfahrer weiterhin mitunter nicht. Genau das aber fordert der Behindertenbeauftragte Berlins Martin Marquard: „Wir wollen nicht nur besondere Wohnungen für Behinderte, sondern, dass der gesamte Wohnungsbau barrierefrei wird.“

Michael Prestel hat eine solche Bleibe. Mit Schwung fährt der 40-Jährige in seinem Rollstuhl zum Fenster. Die Fenstergriffe sind am unteren Rahmen angebracht, so dass er sie bequem erreichen kann. „Ich möchte mein Leben selbst bestimmen, das geht aber nur, wenn es barrierefrei ist“, sagt Prestel. Zumindest in den eigenen vier Wänden im Johanniterhaus an der Ecke Buschkrugallee/Blaschkoallee kennt er keine Barrieren. Auch seine Frau Manuela sitzt im Rollstuhl, ihre 17-jährige Tochter Annemarie stützt sich auf Krücken. Der Rollstuhl passt bequem durch alle Türen ihrer 100 Quadratmeter großen Wohnung. Der Backofen ist höher als normal eingebaut, gleiches gilt für die Steckdosen im Haus, während Türspion und Schrankzeilen tiefer angebracht sind. Das Haus wurde vor 22 Jahren erbaut.

Auf dem Weg zum Gemeinschaftsraum des Hauses rollen Manuela und Michael Prestel über einen Laubengang. Diese Gänge verbinden die Wohnungen ebenerdig, unter ihnen ist das Grün der Rasenflächen, die im Sommer zum Grillen einladen und Behinderte und Nichtbehinderte zusammenbringen. Familie Prestel ist von den Vorteilen des Hauses überzeugt. Manuela Prestel sagt: „Man ist woanders eingeschränkt und kommt mit den Nachbarn nicht in Kontakt.“

Doch barrierefreies Bauen wurde trotz der Vorteile flächendeckend bisher nie zum Thema. „Wir stehen da mit unseren Leistungen noch am Anfang“, sagt Reiner Bildt von der Wohnungsgenossenschaft Lichtenberg. Auch Architekt Heino Marx bemängelt: „Die Ausbildung von Architekten beinhaltet das Thema nicht.“

Im sozialen Wohnungsbau aber gab und gibt es behindertengerechte Wohnungen. Doch nachdem die Länderförderung zum sozialen Wohnungsbau wegfiel, konnten sich viele Behinderte ihre Wohnungen nicht mehr leisten. „Die Mieten sind teilweise enorm gestiegen“, so Dr. Manfred Schmidt, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Hilfe für behinderte Menschen.

Vielen Betroffenen bleibt nur ein Umzug. Nach Erfahrungen des Integrationsamtes kann die Vermietung günstigerer Wohnungen jedoch zum Problem werden. Im Johanniterhaus zum Beispiel sind 23 der 62 Wohnungen behindertengerecht. Doch vier von ihnen stehen leer. Sie sind groß, für Familien konzipiert. Das macht sie teuer. „Wir merken, dass sich die Wohnungen nicht mehr so einfach vermieten lassen“, sagt Lüder von Limburg, Mitglied des Aufsichtsrates für das Haus.

Das Integrationsamt hat eine Vermittlungsstelle für behindertengerechte Wohnungen eingerichtet. 50 Anträge kommen hier auf gerade einmal zehn bis 15 Angebote. Ein Großteil der barrierefreien Wohnungen befindet sich in Marzahn und Lichtenberg. „Es gibt aber Personen, die nicht bereit sind, in den Ostteil zu ziehen“, sagt Volkhard Schwarz vom Integrationsamt.

Manfred Schmidt ist selbst sehbehindert und kann die Vorbehalte verstehen: „Ich möchte auch nicht gerne in eine andere Gegend ziehen.“ Man würde aus seiner gewohnten räumlichen Umgebung gerissen. Auch die sozialen Kontakte blieben zurück. Mit Ost- oder Westressentiments habe das nichts zu tun.

Matthias Jekosch

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