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Ein Synonym für humanitäre Krise. Das Lageso kollabierte im Sommer 2015.

© Britta Pedersen/dpa

Nach dem Lageso-Skandal 2015 in Berlin: Wie es Menschen aus der Lageso-Schlange heute geht

Sie sind seit einem Jahr in Berlin. Aber fühlen sie sich hier auch zu Hause? Fünf Flüchtlinge berichten.

Vor einem Jahr erreichte die Krise am Landesamt für Gesundheit und Soziales ihren ersten Höhepunkt: Menschen standen tage- und wochenlang vor der überforderten Behörde in Moabit an, um sich registrieren zu lassen. Wir sprachen mit fünf Flüchtlingen, die damals in die Stadt kamen. Wie haben sie das zurückliegende Jahr erlebt?

Shadi Alsaadi aus Syrien hatte "unglaubliches Glück"

Im Zimmer von Shadi Alsaadi hängt eine Deutschlandfahne. Sein Blick geht auf einen wilden Garten in einem Neuköllner Hinterhof:

„Fast genau vor einem Jahr habe ich drei Tage lang vor dem Lageso campiert. Irgendwie hatte ich von Anfang an Glück. Denn nach den drei Tagen habe ich mich registrieren können und einen Hostelgutschein bekommen. Für 40 Tage. Ich war ziemlich verloren in der neuen Stadt.

Foto: Pascale Müller
Shadi Alsaadi

© Pascale Müller

Ich bin die kompletten 40 Tage im Hostel in meinem Zimmer geblieben. Ich wusste nicht wohin, ich kannte mich ja überhaupt nicht aus. Dann bin ich wieder zum Lageso und habe gewartet. Eines Tages hatte ich Glück. Ich bin reingekommen, habe ein Busticket und einen Termin beim BAMF bekommen. Vom Hostel musste ich in ein Heim in Lichtenberg umziehen.

Als der BAMF-Termin kam, war ich vor sieben Uhr morgens dort. Und hatte wieder unglaubliches Glück. Etwa zweihundert Menschen haben an dem Tag dort gewartet. Ich war einer von zweien, der drankam. Sie haben mir sofort einen Ausweis gegeben, am selben Tag. Und schon nach eineinhalb Monaten hatte ich ein Interview beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, und mein Asylantrag war erfolgreich. So schnell hat es bei keinem, den ich kenne, funktioniert. Ich glaube, dass es letztes Jahr im August einfach zu viel war für Berlin. In keinem Land der Welt hätte es besser geklappt. Zu meiner jetzigen WG bin ich durch Zufall gekommen. Ich habe einen Mann in einem Fahrradladen kennengelernt. Einen Monat später rief er an und fragte: ,Suchst du noch ein Zimmer?‘ So bin ich hier gelandet. Der Anruf war vielleicht mein bester Moment letztes Jahr.

Mein Plan ist, richtig Deutsch zu lernen. In Damaskus habe ich in der Universitätsverwaltung gearbeitet. Das würde ich gerne wieder machen. Aber in Deutschland muss alles der Reihe nach gehen und du brauchst einen Abschluss. Ich glaube es wird langsam werden.“

Omar Al-Khudair* aus Syrien will sein Land endlich vergessen

Omar Al-Khudair sitzt am Brunnenrand, hinter der Markthalle Neun in Kreuzberg. Kinder planschen im Wasser. Der 22-Jährige erzählt von seinem ersten Jahr in Berlin. Wenn er von der Zeit vor dem Lageso spricht, zittern seine Hände:

Foto: Pascale Müller
Omar Al-Khudair

© Pascale Müller

„Syrien hat mich krank gemacht. Ich habe bis heute immer wieder schreckliche Kopfschmerzen. Ich erinnere mich noch, wie glücklich ich letztes Jahr war, nach Deutschland zu kommen. Ich habe gedacht: Hier kann ich endlich frei sein. Das war mein Traum.

Geflohen bin ich schon vor drei Jahren, aber zwei Jahre habe ich in der Türkei gelebt. Mit dem Lageso verbinde ich nur Schlechtes. Als ich zum ersten Mal dorthin kam, habe ich vor Verzweiflung geweint. So viele Menschen, ich habe eine Woche lang gewartet. Zum Glück hat eine Mitarbeiterin im Lageso mir geholfen, weil ich nicht in eine normale Unterkunft sollte. Mir ging es psychisch sehr schlecht. Deshalb kam ich in eine WG mit Deutschen.

Ich habe die WGs öfter gewechselt, aber in ein Heim musste ich nicht.

Mittlerweile mache ich einen Deutsch- und Integrationskurs. Das hier ist nicht mein Land. Ich muss zuhören, ich muss lernen, was die Menschen hier mögen und nicht. Ich mag, dass es in Deutschland Frauenrechte gibt, dass Lesben und Schwule hier Rechte haben, dass ich laut sagen kann, was ich denke. Wenn ich den Kurs abgeschlossen habe, will ich eine Ausbildung zum Altenpfleger machen. Ihr habt viele alte Menschen in Deutschland. Ich glaube, ihr könnt mich gebrauchen. Meine größte Angst ist, irgendwann wieder gehen zu müssen. Meine Aufenthaltsgenehmigung gilt für drei Jahre. Ich kann es mir nicht vorstellen, wieder zurückzugehen. Ich will mein Land einfach vergessen. Den blauen Ausweis und die ID-Karte zu bekommen, war ein tolles Gefühl. Aber das Beste im letzten Jahr war, dass ich meine Mutter wiedersehen konnte. Acht Monate hat es gedauert.“ (*Name geändert)

Hassan Haddad* aus Syrien hat fast nur Schreckliches erlebt

Der Mann aus der heftig umkämpften nordsyrischen Stadt Aleppo, in der derzeit 300.000 Menschen eingekesselt sind, will seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Als er vor einiger Zeit schon einmal ein Interview gegeben hat, hat ihn der Heimbetreiber danach aus der Unterkunft geworfen. Haddad wohnt in einer Notunterkunft im Bezirk Lichtenberg, zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern. Derzeit ist er zur Behandlung in einem Krankenhaus:

„Wir sind im letzten August über die Balkanroute nach Berlin gekommen. Meine Familie, das sind meine Frau, ihre 18-jährige Tochter und unsere gemeinsame fünfjährige Tochter. Seit wir hier in Deutschland sind, ist uns fast nur Schreckliches widerfahren. Zuerst haben wir zweieinhalb Monate in einem Hostel am Kurfürstendamm gewohnt. Dann gingen auch noch unsere Papiere irgendwo im Lageso verloren.

Wir mussten das Hostel sogar verlassen und in der Kälte auf der Straße schlafen, bis ehrenamtliche Helfer etwas für uns getan haben. Das war im vorigen Oktober. Wir sind dann erst mal in eine Sporthalle gebracht worden, danach wieder in ein neues Hostel. Aber der Besitzer des Heims hat Flüchtlinge offensichtlich gehasst, und die Unterkunft war sehr dreckig. Meine ganze Familie ist ins Krankenhaus gekommen, weil wir dort krank geworden sind.

Dann ging es weiter: Unterbringung in Sporthallen, später in weiteren Hostels. Es gab Zahlungsausfälle vom Lageso, weshalb uns Betreiber rauswerfen wollten. Am 17. Februar hatten wir eine neue Kostenübernahme bis zum 17. Juni bekommen, aber dann gab es wieder Probleme.

Meine Frau ist in der Zeit schwanger geworden. Wir wünschen uns seit fünf Jahren einen Sohn. Im Lageso hat eine Mitarbeiterin zu mir aber gesagt: „Das ist nicht die Zeit, um schwanger zu werden.“ Meine Frau war bei einem Arzt, der ihr gesagt hat, sie brauche erst einmal Ruhe. Es war eine Risikoschwangerschaft. Aber das Lageso hat unsere Familie wieder in eine Sporthalle geschickt, ich wollte das nicht. Wir sind an einem Tag mehrmals hin und her gelaufen. Mit all unserem Gepäck.

Das alles war für meine Frau zu anstrengend. Sie hat eines Tages Blutungen bekommen. Dann hat sie unser Kind verloren. Ich bin so unendlich traurig. Ich will einfach nur noch, dass es irgendwann einmal besser wird für uns.“ (*Name geändert)

Warum sich ein junger Iraker dringend Freunde sucht

Warten, warten, warten. Bis in den Winter hinein gab es lange Schlangen vor dem Lageso in Moabit.
Warten, warten, warten. Bis in den Winter hinein gab es lange Schlangen vor dem Lageso in Moabit.

© Kay Nietfeld/dpa

Ajmal Safi aus Afghanistan freut sich auf die Uni ab August

Auf Ajmal Safis T-Shirt steht: „Don’t look for happiness. Create it.“ Er selbst sieht beim Gespräch alles andere als glücklich aus:

„Um nach Berlin zu kommen, bin ich sehr, sehr lange gelaufen. Und dann musste ich sehr, sehr lange am Lageso warten. Ich habe dann 15, vielleicht 20 Tage auf einen Bildschirm gestarrt und darauf gewartet, dass meine Nummer dort mal erscheint. Aber sie kam nie.

Foto: Pascale Müller
Ajmal Safi

© Pascale Müller

Am Anfang habe ich jede Nacht woanders geschlafen, ganz oft in Sporthallen. Erst im September habe ich es geschafft, mich in Berlin registrieren zu lassen. Da bin ich dann erst einmal in einem Heim untergekommen. Es gab für Afghanen dort keine Sprachkurse. Deshalb habe ich angefangen, mir selbst Deutsch beizubringen. Bisher geht das aber nur langsam voran.

Jetzt, im August, fange ich mit einem Vorbereitungskurs für Geflüchtete an der Technischen Universität an, da kann ich dann auch einen Sprachkurs belegen. Ich habe in Afghanistan Bauingenieurwesen studiert und habe einen Bachelorabschluss. Mein Ziel ist es, hier in Deutschland endlich einen Master zu machen.

Nach einem Jahr in Berlin kann ich sagen, dass das Leben für mich noch immer sehr schwer ist. Ich vermisse meine Familie, die immer noch in Afghanistan ist. Der Mann, mit dem ich mir mein Zimmer teilen muss, raucht immerzu. Er ist nachts auch sehr laut und lässt mich kaum zur Ruhe kommen. In der Universität kann ich mich deshalb ziemlich schlecht konzentrieren.

Ich hätte gerne einen Sprachpartner, mit dem ich Deutsch üben kann, am besten einen Muttersprachler. Bisher habe ich noch niemanden gefunden. Ich fühle mich sehr alleine. Alles hängt für mich davon ab, was das BAMF entscheidet. Ich hoffe, ich werde nicht abgeschoben.“

Mody Alzubaidy aus dem Irak hatte Glück mit einer Lageso-Mitarbeiterin

Mody Alzubaidy sitzt vor dem geöffneten Fenster, in seinem WG-Zimmer in Schöneberg. Auf dem Bett ein Fußball, an der Wand ein Tennisschläger:

„Als ich im September in Berlin ankam, habe ich zuerst fünf Tage bei meinem Cousin gewohnt. Dann bin ich zum Lageso gegangen. Ich konnte nicht fassen, wie viele Menschen dort standen. Meine Nummer wurde auf dem Bildschirm angezeigt, als ich gerade nicht im Warteraum war. Man hatte da nur fünf Minuten. Ich habe drei Monate darauf gewartet.

Foto: Thilo Rückeis
Mody Alzubaidy

© Thilo Rückeis

Dann habe ich auf der Straße einfach eine Frau angesprochen, die so aussah, als würde sie im Lageso arbeiten. Das stimmte tatsächlich! Ich habe ihr meine Situation erklärt und sie hat mir geholfen. Das war wunderbar. Sie hat alle meine Papiere fertig gemacht. Sie hat mir Geld gegeben und einen Gutschein für ein Hostel. Aber ich habe keines gefunden. Also bin ich in ein Heim in Spandau gekommen. Zu zehnt haben wir da zusammengewohnt. Alle außer mir haben geraucht und getrunken, ich konnte kaum schlafen. Das war richtig mies.

Ich bin danach immer wieder für einige Zeit privat untergekommen. Dabei habe ich aber nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Manche Menschen haben so getan, als ob sie mir helfen wollten, aber in Wahrheit haben sie mich ausgenutzt oder schlecht behandelt. Eine Frau hat mich sogar bestohlen. Eine andere hat mich ihren Freunden als ,ihren Flüchtling‘ vorgestellt. Das hat mich wütend gemacht. Jetzt wohne ich in einer guten WG, aber ich bin eigentlich fast immer allein. Deshalb wünsche ich mir Freunde in meinem Alter, mit denen ich Fußball oder Tennis spielen kann.

Als ich nach Berlin gekommen bin, habe ich mir selbst Englisch beigebracht. Jetzt spreche ich immer Englisch und lerne nicht so schnell Deutsch. Aber um eine Arbeit zu finden, selbst wenn es nur in einem Restaurant ist, muss ich Deutsch sprechen. Ich habe im letzten Jahr viel Zeit verloren.“

Pascale Müller

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