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Berlin: „Bei Ausschreitungen müssen wir schneller da sein“

Polizeipräsident Dieter Glietsch über die Chancen für einen ruhigen 1. Mai und die Bereitschaft von Linken und Jugendlichen zur Randale

1. MAI: RANDALE ZUR FEIER DES TAGES?

Herr Glietsch, wird es in diesem Jahr am 1. Mai wieder Randale geben?

Es werden auch in diesem Jahr wieder Gewaltbereite und Gewalttäter da sein. Unser Ziel ist, dass es weniger sein werden. Und dass es uns besser gelingt, gemeinsam mit anderen dafür zu sorgen, dass die Gewalt in Grenzen gehalten wird.

Sie sind zum ersten Mal als Polizeipräsident in Verantwortung für den 1. Mai. Bleiben Sie bei der Deeskalationsstrategie des vergangenen Jahres?

Das Konzept der „ausgestreckten Hand“ hat sich – auch nach der öffentlichen Meinung – bewährt. Es wird beibehalten und zugleich fortentwickelt. Wir setzen auf vertrauensbildende Maßnahmen und haben frühzeitig deutlich gemacht, dass wir im Vorfeld alles nur Mögliche tun, um Gewalt zu vermeiden. Unsere Präsenz bleibt bei allen Veranstaltungen zurückhaltend, solange sie friedlich verlaufen.

Nach dem letzten 1. Mai haben Sie gesagt, auf jeden Fall könne die Reaktionsgeschwindigkeit der Polizei verbessert werden.

Zurückhaltende Polizeipräsenz hat im vergangenen Jahr keine polizeifreien Räume bedeutet. Aber sie war, das zeigte sich am Abend in Kreuzberg, für die schnelle Reaktionsfähigkeit ein Problem. In diesem Jahr bleibt es bei zurückhaltender Polizeipräsenz, aber wir müssen unsere Kräfte so einsetzen, dass wir sie schnell dort haben, wo Gewalt ausbricht.

Und wie soll das gehen?

Das sind taktische Fragen, zu denen kann ich mich nicht äußern.

Denkt die Polizei zu langsam?

Nein, das ist kein mentales Problem. Aber man muss sicherstellen, dass man nicht erst merkt, wenn etwas los geht, sondern früh erkennt, wo etwas losgehen kann. Die Qualität der Beobachtung und der Aufklärung ist wichtig. Außerdem muss man wissen, wo die Eingreifkräfte postiert werden können, damit sie kritische Punkte schnell erreichen.

Und was halten Sie von der Erklärung der „militanten Gruppe“, die Gewalt solle am 1. Mai auf die Straße getragen werden?

Solche Erklärungen hat es in der Vergangenheit auch gegeben. Es kommt darauf an, welche Resonanz mit solchen Erklärungen erzielt wird.

Haben Sie Anlass zur Hoffnung, dass die friedlichen Demonstranten selbst gegen Gewalttäter einschreiten?

Ich kann nur appellieren: Wer friedlich demonstrieren will – und das ist die überwiegende Mehrheit – sollte sich so verhalten, dass Gewalttäter sich nicht motiviert fühlen. Es muss deutlich werden: Die Mehrheit will keine Gewalt.

Nun haben Veranstalter einer Demonstration, die ab 18 Uhr vom RosaLuxemburg-Platz durch Mitte laufen will, sich gerade nicht von Gewalt distanziert. Hat das Konsequenzen?

Wir sind in der Lage zu differenzieren. Dort, wo wir Gewaltbereitschaft erkennen, wird die polizeiliche Präsenz anders aussehen als dort, wo kein Zweifel an der Friedlichkeit besteht.

Sie sprechen schon mit den potenziellen Gewalttätern. Gehört zu den Maßnahmen, Leute vorher aus dem Verkehr zu ziehen?

Man kann jemanden erst in Gewahrsam nehmen, wenn konkrete Erkenntnisse belegen, dass er die Absicht hat, gewalttätig zu werden – an einem konkreten Ort zu einer bestimmten Zeit. Nur weil jemand im vergangenen Jahr aufgefallen ist, geht das nicht.

Wenn Sie jemanden erwischen, der sich in einem Hinterhof Steine bereitlegt?

Das ist der klassische Fall. Das genügt.

Die Polizei setzt in diesem Jahr große Hoffnungen auf das Straßenfest in Kreuzberg. Warum eigentlich? Es gab doch auch in den vergangenen Jahren etliche Straßenfeste.

In diesem Jahr wird deutlich mehr stattfinden. Das Ziel ist, die Straßen nicht den Gewaltbereiten zu überlassen. Und viele Leute auf die Straßen zu bringen, die bereit sind, ihr Viertel im Sinne des Tages der Arbeit zu nutzen.

Wenn die Straßen noch voller sind, haben Sie ein größeres Problem, mit den Einsatzkräften durchzukommen, wenn’s brennt.

Nichts ist ohne Risiko. Und die Straßen sind doch immer voll. Das verschlechtert die Situation nicht gravierend.

Wie groß schätzen Sie das Gewaltpotenzial? Bei den Linken, aber auch bei den türkischen und arabischen Jugendlichen?

Ich schätze, dass es in diesem Jahr kleiner ist als im vergangenen Jahr.

Sie können keine Zahl von Personen nennen?

Am Tag vor dem 1. Mai werden wir realistisch einschätzen können, welches Potenzial wir zu erwarten haben. Bis dahin läuft unsere Aufklärung in Berlin und anderen Bundesländern.

Wie kommen Sie denn an die türkischen Jugendlichen heran, die den Tag nutzen, ohne politisch organisiert zu sein?

Seit Wochen geht die Polizei verstärkt in die Schulen. Unsere Anti-Konflikt-Teams sind aktiv. Alle Polizeikräfte, die Kontakt in diese Szene haben, führen Gespräche. Zum Beispiel die operativen Gruppen Jugendgewalt haben Kontakte, die wir nutzen können.

Wie viele potenzielle Gewalttäter, die sogenannten Gefährder, sprechen Sie an?

In Berlin sind das zwischen 160 und 170. Dazu kommen noch einmal etwa 30 bis 40 in anderen Bundesländern.

Im vergangenen Jahr war schon die Walpurgisnacht ein Problem. Wie schätzen Sie das in diesem Jahr ein?

Der Vorabend ist für uns genauso heikel wie der 1. Mai.

Sie sind noch recht neu in Berlin, betrachten Sie das Phänomen 1. Mai mit einer ethnologischen Verwunderung?

Ja, das ist eine spezifische Berliner Erscheinung. Doch wie andere in der Stadt bin ich der Überzeugung, dass man daran mit Erfolg arbeiten kann. Ich bin aber auch sicher, dass das nicht von einem Tag auf den anderen geschehen kann. Es wird nur langfristig möglich sein, dieses Ritual zu durchbrechen.

Noch haben Sie nicht die Zusagen von den Polizeien anderer Ländern, die Sie gerne hätten? Wie viele Polizeibeamte werden Sie einsetzen?

Am 30. April und am 1. Mai werden wir in der Lage sein, unser Konzept mit circa 7500 Beamten umzusetzen.

Auch die NPD in Berlin marschiert wieder auf. Wir schätzen Sie diesen Aufzug ein?

Wir gehen derzeit von einem gewaltfreien Aufzug aus. Allerdings fällt es uns noch schwer einzuschätzen, wie viele daran teilnehmen werden. Denn auch in anderen Städten sind NPD-Demonstrationen geplant.

Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren wird die NPD im Westen der Stadt demonstrieren. Wird es da nicht schwieriger, die Gegner der NPD von ihr fern zu halten? Der klassische Kreuzberger kommt doch eher nach Charlottenburg als in den Osten.

Die Einschätzung würde ich nicht teilen. Der militante Linke geht überall hin, auch in den Osten, wenn ihm seine Aktion wichtig ist. Für die Polizei ist es sehr wichtig, ihre Rolle in dieser Situation zu erklären. Sie hat darauf zu achten, dass das Demonstrationsrecht von jedem genutzt werden kann, dem es nach der Verfassung zusteht – auch der NPD.

Wo wird die NPD marschieren?

In der Nähe des Olympiastadions.

Wollen Sie solche Bilder sehen? Tausende Rechtsextreme, die vor dem historischen Bau des Olympiastadions aufmarschieren?

Ich finde Rechtsextremisten nirgendwo gut. Weder am Olympiastadion noch am Brandenburger Tor. Aber das reicht nicht aus, um ein Demonstrationsverbot auszusprechen.

Das Gespräch führten Jörn Hasselmann, Barbara Junge und Gerd Nowakowski.

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