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Berlin: Bei Mädchen sitzt das Messer immer lockerer

Anstieg in der Polizeistatistik / Ein Grund: AggressionsstauVON ANNETTE KÖGEL BERLIN.Sie zücken Butterfly-Messer, drücken Zigaretten auf der Haut von anderen aus und brechen ihnen das Nasenbein: Mädchen und junge Frauen verhalten sich mitunter nicht zimperlich.

Anstieg in der Polizeistatistik / Ein Grund: AggressionsstauVON ANNETTE KÖGEL BERLIN.Sie zücken Butterfly-Messer, drücken Zigaretten auf der Haut von anderen aus und brechen ihnen das Nasenbein: Mädchen und junge Frauen verhalten sich mitunter nicht zimperlich.Der Anteil der weiblichen Straftäter ist der Kriminalitätsstatistik zufolge zuletzt merklich gestiegen.Erst am Montag abend bedrohten zwei Jugendliche ein 14jähriges Mädchen mit dem Messer und zwangen sie, sich ganz auszuziehen.Sozialwissenschaftler und Streetworker erklären den Anstieg der Gewaltbereitschaft bei Mädchen unter anderem mit dem veränderten Rollenbild sowie der zunehmenden Armut. "Kalte Rache" - mit dieser Überschrift betitelte die Polizeipressestelle gestern die Meldung aus Tiergarten: Die 14jährige Miriam Z.und die 15jährige Mandy R.hatten die 14jährige Jennifer R.bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt auf einem Spielplatz im Kleinen Tiergarten angegriffen.Sie schlugen Jennifer ins Gesicht und zwangen sie mit einem Messer, sich auszuziehen sowie Schmuck und Kleidung herzugeben.Anschließend wollten die beiden jungen Täterinnen ihr Opfer zwingen, nackt über die Turmstraße zu laufen, sagte Kriminalhauptkommissar Frank Isensee von der zuständigen Direktion drei.Grund für räuberische Erpressung und Demütigung: Das Mädchen hatte schlecht über ihre ehemaligen Freundinnen gesprochen. Das 14jährige Opfer wirkte "recht gefaßt", als es von der Mutter abgeholt wurde, sagte Isensee; gegen die Beschuldigten werde jetzt ermittelt.Mädchen als Täter im Polizeiverhör - das ist kein Einzelfall.Der Berliner Streetworker-Verein "Gangway" hat die Daten der polizeilichen Kriminalstatistik und des Statistischen Landesamtes von 1987 bis 1996 zusammengetragen und analysiert.Das Ergebnis: Die Zahl der weiblichen Straftäter ist, vor allem bei den Kindern zwischen acht und 14 Jahren, stark gestiegen. So wurde vor zehn Jahren noch gegen 1071 Mädchen in diesem Alter ermittelt.Im vergangenen Jahr waren es 3434 Tatverdächtige.Der Anteil der Mädchen und jungen Frauen an der gesamten Täterschaft liegt zwischen 20 und 30 Prozent, wobei die meisten Straffälligen zwischen 14 und 18 Jahre alt sind.Die meisten Mädchen werden wegen Ladendiebstahls auffällig - allerdings gibt es auch eine Zunahme bei der gefährlichen und schweren Körperverletzung. Grundsätzlich schließen sich Mädchen seltener in Banden zusammen als Jungen, sagt "Gangway"-Geschäftsführerin Elvira Berndt."Mädchen betrachten sich eher im Spiegel der Jungen und wirken als Antreiber - oder auch als Samariter, wenn etwa passiert ist." Durch das veränderte Rollenverständnis entschlüpften sie jedoch zunehmend ihrer passiven Rolle und "agieren dann mindestens genauso heftig wir die Jungs".Ursachen für Gewalt bei Mädchen sei auch die zunehmende Armut und Orientierungslosigkeit, berichtet Sozialwissenschaftlerin Ursula Bachor."Junge Frauen sind dem Diktat der Mode unterworfen.Wenn sie sich schicke Klamotten nicht kaufen können, klauen sie halt." Auch bei der Justiz hat man sich mit den Motiven weiblicher Straftäter beschäftigt.Andrea Bartl, Jugendrichterin beim Amtsgericht Tiergarten, hat es zumeist mit Fällen von Kleinkriminalität wie Ladendiebstahl zu tun.Frau Bartl weiß jedoch von Bandenbildung etwa bei jungen Türkinnen. "Ausländerinnen leben im ständigen Widerspruch zwischen traditionellem Rollenverständnis und dem modernen Frauenbild." Im Gegensatz zu den Brüdern, denen mehr erlaubt werde, haben sie kaum Möglichkeiten, Mißstimmungen auszudrücken.Mädchen unterdrücken Aggressionen viel zu oft, meint auch Elvira Berndt."Wenn es später aus ihnen herausbricht, dann heftig."

ANNETTE KÖGEL

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