zum Hauptinhalt

Berlin: Beihilfe zum Mord – aber die Täter bleiben straffrei

Gestern endete der letzte Mauer-Prozess: Ex-DDR-Offiziere wurden nur symbolisch verurteilt. Opferverbände reagieren verbittert

Der Saal B 129 gehört zu den unscheinbarsten im Moabiter Kriminalgericht. Doch als sich hier mittags die Zuschauer von den Plastikstühlen erheben, geht ein Kapitel deutscher Rechtsgeschichte zu Ende: Genau 15 Jahre nach dem Mauerfall hat das Berliner Landgericht gestern das Urteil im voraussichtlich letzten Prozess um die Maueropfer gesprochen. Vier ehemalige DDR-Militärs wurden der Beihilfe zum Mord schuldig gesprochen. Die Angeklagten seien für den Tod von vier Flüchtlingen durch Splitterminen mitverantwortlich, befanden die Richter. Von der Verhängung von Strafen aber sahen sie ab. 15 Jahre nach der Wende könne das Gericht „nur unzulänglich“ über das Verhalten der heute 63 bis 71 Jahre alten Angeklagten urteilen, sagte die Vorsitzende Richterin. Es gebe aber keine Zweifel, dass die Angeklagten den Tod der Opfer des Grenzregimes aufrichtig bedauern.

Es war vielleicht das letzte, aber nicht das erste Mal, dass sich ein Gericht mit der Urteilsfindung zum SED-Unrecht schwer tat. „Die Berliner Justiz hatte die ungeheure Aufgabe, das Erbe der DDR mit juristischen Mitteln zu bewältigen“, sagt Justizsenatorin Karin Schubert (SPD). Sie weiß, dass die Bilanz als umstritten gilt: Während die Beschuldigten von „Siegerjustiz“ sprechen, empfinden die Opfer das Vorgehen als unangemessen mild. „Die Justiz hat völlig versagt“, sagt Harald Strunz, stellvertretender Vorsitzender der „Union der Opferverbände der kommunistischen Gewaltherrschaft“. Nur „ein lächerlicher Prozentsatz“ der Täter sei zur Verantwortung gezogen worden – und dann auch noch zumeist mit Bewährungsstrafen davongekommen.

Nach der Wende war zur Aufarbeitung des SED-Unrechts extra eine Staatsanwaltschaft eingerichtet worden. Sie befasste sich unter anderem mit den Todesschüssen, Justizunrecht, Wirtschaftsdelikten und Straftaten des MfS. Als die Sonder-Staatsanwaltschaft 1999 wieder aufgelöst wurde, waren 99,4 Prozent der rund 23 000 Fälle abgeschlossen – zumeist durch Einstellung. Lediglich in 2,64 Prozent kam es zu einer Anklage. Seit dem Oktober 2000 sind alle einschlägigen DDR-Delikte – abgesehen von Mord und Totschlag – verjährt. Zu den Gewalttaten an der Grenze gab es rund 6400 Ermittlungsverfahren, die zu 112 Anklagen führten. Es ging um die Schicksale von 270 Flüchtlingen, die an der Mauer getötet wurden. Im September 1991 begann der erste Prozess: Das Gericht verhandelte den Todesschuss auf das letzte Maueropfer Chris Gueffroy.

Die statistische Bilanz 15 Jahre nach Mauerfall: Insgesamt 130 Menschen sind wegen der Mauertoten rechtskräftig verurteilt. Es gab 112 Anklagen gegen 246 mutmaßliche Täter. Zehn der Angeklagten mussten sich als frühere Mitglieder der politischen Führung verantworten, 38 als Mitglieder der militärischen Führung, 80 als Grenzsoldaten. In 25 Fällen wurden Haftstrafen ohne Bewährung verhängt, 99 Angeklagte erhielten Strafen mit Bewährung, bei vier weiteren Schuldsprüchen wurde von der Verhängung einer Strafe abgesehen, 65 Mal entschieden die Richter auf Freispruch. Die höchste Strafe erhielt mit siebeneinhalb Jahren der frühere DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler, gefolgt von Honecker-Nachfolger Egon Krenz mit sechseinhalb Jahren Haft. Auch der ehemalige DDR-Grenztruppenchef Klaus-Dieter Baumgarten wurde zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt.

In diesem letzten Prozess ging es um das Schicksal von vier Flüchtlingen, die in den 70er und 80er Jahren durch Splitterminen getötet wurden. „Die juristische Arbeit ist nun zwar beendet“, sagt Justizsenatorin Schubert. „Die historische Aufarbeitung wird uns aber noch lange Zeit beschäftigen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false