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Berlin: Beim Kampf um die Mitte sieht sich die SPD vorn

Im Wahlkreis Mitte ist Kandidat Spiller sicher, das Direktmandat erneut zu gewinnen

Von Barbara Junge

Die Kandidaten kämpfen nicht nur gegen die drückende Hitze. Ordentlich hinter den grauen Schultischen aufgereiht werben sie, die das Direktmandat für den Bundestag in Mitte gewinnen wollen, um die Stimmen der stummen vor ihnen versammelten Jungwähler. In der stickigen Aula des Lessing-Gymnasiums aber will die rechte Wahlbegeisterung nicht aufkommen. An die 140 angehende Abiturienten blicken skeptisch nach vorne. „Der Beifall ist immer so höflich ausgeglichen, dass ich beim besten Willen nicht weiß, was Sie wählen werden“, stellt der grüne Bewerber Wolfgang Wieland nach den ersten beiden Fragerunden leicht resigniert fest. Dafür immerhin erntet er lautes, befreiendes Klatschen. Für den Einzug in den deutschen Bundestag aber wird das nicht reichen.

Den Kampf um die Mitte tragen SPD und CDU hier untereinander aus. Der Sozialdemokrat Otto Spiller und der Christdemokrat Volker Liepelt, das Weddinger Urgestein gegen den Inbegriff der CDU in Tiergarten. Bei der Bundestagswahl 1998 entschieden sich auf den neuen Wahlbezirk umgerechnet 45,3 Prozent der Wähler dafür, ihre Erststimme der Sozialdemokratie zu geben. Bei der Abgeordnetenhauswahl im vergangenen Jahr lag der Erststimmenanteil der SPD bei 36,3 Prozent. Die CDU konnte je 21,2 Prozent und 24,3 Prozent für ihren Direktkandidaten mobilisieren. Doch wer von den beiden auch immer in Mitte gewinnt, Berlin-Mitte hat er damit nicht gewonnen.

Erinnern Sie sich noch an den ehemaligen Bundeswehrgeneral Elmar Schmähling? Den Kronzeugen für die Resonanz der PDS im Westen der Republik? Kurzzeitig war er 1998 in Mitte der Kandidat der Sozialisten, bis ein ganz und gar politikfernes Verfahren der Staatsanwaltschaft der kuriosen Kandidatur ein Ende setzte. An seiner Stelle zog die damalige PDS-Landesvorsitzende Petra Pau in den Wahlkampf um den Prestigebezirk Mitte – und holte das Mandat gegen den prominenten Ostsozialdemokraten Wolfgang Thierse. Die Sozialisten hatten die Mitte erobert.

1998, da waren die Wahlkreise noch sauber nach Ost und West sortiert. Am 22. September jedoch wird in Wedding, Tiergarten und Alt-Mitte zusammen abgestimmt. Das verändert die Sachlage. Und die Stimmung. Die PDS, und mit ihr PDS-Direkt-Kandidat Stefan Liebich, hat keine Chance im Westen. Aber Liebich, die Nachwuchshoffnung der Berliner PDS für eigentlich jeden Posten, hatte ja ohnehin schon verlauten lassen, er habe genug Jobs in der Landespolitik. In die Lessing-Schule hat sich Liebich gar nicht erst aufgemacht. Wolfgang Wieland dagegen kam in die Aula, kämpfte für Grün, ein Bundestagsmandat indes steht gar nicht erst in seiner Lebensplanung.

Und die liberale Kandidatin Gabriele Heise? „Wer kandidiert nochmal für die FDP in unserem Wahlbezirk?“, fragt die Schulleiterin der Lessing-Schule, Anita Mächler, leicht errötend nach. „Gabi Heise, nein, auf die sind wir bei der Einladung nicht gekommen.“ Deshalb sitzt die populäre FDP-Schulpolitikerin Mieke Senftleben in der Lessingschule auf dem Podium links außen, direkt neben dem CDU-Kandidaten.

Volker Liepelt, der Direktkandidat der CDU, startete als erster in den Wahlkampf. Und er kämpft bei jedem Wetter. Am 12. August, beispielsweise, stand er schon da, im strömenden Regen, am Brandenburger Tor. Ein Zelt hatte ihm der Bezirk Alt-Mitte nicht genehmigen wollen – und so harrte Liepelt, ein angestrengtes Lächeln um die dünnen Lippen, tapfer im Trenchcoat unterm weißen CDU-Regenschirm, tropfnass, das Wahrzeichen der Stadt fest vor Augen. Mehr hatte er auch nicht zu tun. Denn in den Sturzfluten wollte sich keiner der Passanten mit Volker Liepelt solidarisieren.

Liepelt versucht, das Beste aus einer Kandidatur zu machen, die auch für ihn unverhofft kam. „Lieber Liepelt“ wirbt er auf Plakaten wie im Internet. „Lieber Diepgen“ mag sich manch ein Wähler denken – denn eigentlich war es der ehemalige Regierende Bürgermeister, der die Mitte für die Union erobern sollte. Nominiert als Direktkandidat war Eberhard Diepgen schon, da kippte ihn sein eigener Landesverband vom Spitzenplatz auf der Landesliste. Diepgen verzichtete auch auf die Direktkandidatur, ein Ersatz musste schnell gefunden werden. Liepelt sprang ein und tourt seitdem unverdrossen durch die Kieze in Ost und West – als Herausforderer des Mandatsträgers.

Otto Spiller lehnt sich selbstzufrieden auf dem Stuhl zurück in seinem kleinen Büro in der Müllerstraße, die Ärmel des weißen Hemdes hochgekrempelt. Überall stapeln sich die blau-roten Broschüren. Gerhard Schröder lächelt dem Besucher entgegen, nicht Otto Spiller. Schließlich gehe es um den Kanzler. Sein Direktmandat wähnt der bodenständige Finanzpolitiker Spiller ohnehin schon fast sicher. „Einen sicheren Listenplatz brauche ich nicht.“ Spiller steht auf Platz sieben der SPD-Landesliste. „Das ist keine Garantie, wenn das Wahlergebnis so ist, dass ich den Direktwahlkreis nicht gewinne“, umschreibt er seine Perspektive: So schlecht könne es doch eigentlich gar nicht kommen. „Glauben Sie mir, auf den Listenplatz wird es nicht ankommen.“

Aktionen wie den ins Wasser gefallenen Wahlstand von Volker Liepelt hat Kandidat Spiller gar nicht erst im Programm. Er macht Wahlkampf bei schönem Wetter. Das ist vielleicht ein Unterschied zwischen den beiden Kandidaten. „Ein gutes Stück Berlin“, so umschreibt Spiller den Wahlkreis, den er gewinnen will. Es klingt wie eine Selbstbeschreibung. Oder wie die seines Konkurrenten.

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