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Nicht wenige Berliner werden in einem Armengrab bestattet - Kurt Kubat nicht.

© dpa

Bekämpfung der Wohnungsnot in Berlin: Kirche und Senat planen Neubauten auf Friedhöfen

Freie Friedhofsflächen, zu wenig Wohnungen – in Berlin sollen deshalb gleich mehrere Bestattungsflächen entwidmet und bebaut werden. Auf 85.000 Quadratmetern könnten bereits kurzfristig Häuser errichtet werden.

Ein Lebensmittel-Discounter auf einem früheren Teil des St. Simeon und St. Lukas-Friedhofs am Tempelhofer Weg in Neukölln. Eine öffentliche Parkanlage auf dem Neuen St. Marien- und St. Nikolai-Friedhof in Prenzlauer Berg. Daneben ein Wohngebäude, auf dem ehemaligen Eingangsbereich derselben Begräbnisstätte – die Kirche braucht Geld, die Stadt Flächen. Deshalb werden nun Friedhöfe zu Bauland oder auch Grünflächen.

Bereits 39 Hektar früherer Bestattungsstätten wurden in Berlin in den vergangenen Jahren entwidmet – und auf 85.000 Quadratmetern davon sollen „kurzfristig“ einige hundert Wohnungen gebaut werden. Diese Konversion der delikaten Art läuft zurzeit in Neukölln, in Reinickendorf, in Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg. „Potenzial, das wir nutzen können“, nennt der Staatssekretär der Bauverwaltung Christian Gaebler (SPD) das Vorhaben. 

„Pietätsfrist“ könnte wegfallen

Die Umwandlung von Friedhöfen in Bauflächen sei durch das „öffentliche Interesse“ legitimiert, das der Senat an der Errichtung neuer Miethäuser zur Bekämpfung der Wohnungsnot in der Stadt hat. Berlin verfüge über mehr Friedhofsfläche als erforderlich. Ursache ist auch der Bewusstseinswandel in der Bevölkerung: Immer mehr Menschen lassen sich einäschern, andere bevorzugen eine Beisetzung in freier Natur, und auch die Zahl anonymer Bestattungen steigt.

Beim Friedhofsverband Berlin-Stadtmitte, der die Hälfte aller evangelischen Friedhöfe Berlins betreibt, bereitet Pfarrer Jürgen Quandt weitere Flächen vor. „Bisher haben wir 70 000 Quadratmeter veräußert“, sagt er. Dabei folgt die Kirche dem gemeinsam mit dem Senat Mitte der 2000er Jahre erarbeiteten Friedhofsentwicklungsplan. Aufgegeben werden nur solche Teile von Friedhöfen, auf denen die 20-jährige Ruhefrist der Grabstätten abgelaufen ist und eine weitere, zehn Jahre dauernde „Pietätsfrist“ zur Wahrung der Totenruhe vorüber ist. Allerdings könnte diese, ausschließlich in Berlin geltende zweite Frist, bald durch eine Gesetzesänderung wegfallen. Dann würden wohl noch schneller Gräber zu Wohnungen werden

Pankow hat die meisten Friedhöfe – und große Wohnungsnot

Dieser Trend betrifft aber nicht alle Teile von Berlins Bevölkerung: Zunehmend möchten sich Migranten aus der Türkei und anderen muslimisch geprägten Ländern in ihrer Wahlheimat bestatten lassen. Und für diese wird der Platz auf Berliner Friedhöfen knapp. Die wohl bekannteste Grabstätte für muslimische Berliner am Columbiadamm im Stadtteil Kreuzberg hat keine freien Flächen mehr. Der zweite Friedhof, auf dem Muslime Berliner sich bestatten lassen können, liegt in Gatow und „erreicht bald seine Grenze“, so Gaebler. Auch eigne sich die Gatower Grabstätte wegen ihrer Entfernung zu den großen migrantischen Gemeinden Kreuzbergs oder Neuköllns weniger gut.

Ohnehin stellt sich die Frage: Reicht ein muslimischer Friedhof für ganz Berlin? Gaebler zufolge stehen „2600 Quadratmeter für 900 Bestattungen“ muslimischer Berliner in diesem Jahr bereit und „weitere 7000 Quadratmeter im nächsten“ – vorerst reiche die Fläche.
220 Friedhöfe hat Berlin nach der aktuellen Aufstellung des Senats insgesamt, 182 davon sind geöffnet, 38 komplett geschlossen. Mehr als ein Drittel aller Friedhöfe (84) sind in Landeseigentum, 117 im Eigentum der evangelischen und neun gehören der katholischen Kirche. Pankow führt die Liste der Bezirke mit den meisten Friedhöfen an – und dort ist die Wohnungsnot besonders groß. An zweiter Stelle steht Mitte.

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