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Berlin: Bekenntnisse des Geiselgangsters Dieter Wurm

Aus dem Haftkrankenhaus schreibt der Bankräuber an den Tagesspiegel. „Ich habe nie gelernt, mit Armut umzugehen“

Von Katja Füchsel

und Werner Schmidt

Leserbriefe hat der „Skorpion“ schon immer gern geschrieben. Im August 1988 beispielsweise kommentierte Dieter Wurm das Gladbecker Geiseldrama in einem Brief an die „taz“. Seine eigene Geiselnahme in Berlin begründet er jetzt in einem vierseitigen Brief an den Tagesspiegel – und wieder einmal sind die anderen Schuld: „Mein Rückfall ist keinesfalls im Versagen von Vollzugs-Bewährung begründet, sondern nur in der Tatsache, nie gelernt zu haben, mit Armut umzugehen.“

Eine interessante Theorie, hat Wurm doch einen Großteil seines Lebens eher spartanisch hinter Gittern verbracht. Wegen Bankraubs, Sprengstoffdelikten, räuberischer Erpressung. Wer einen Komplizen verpfeift, hat im Gefängnis nichts zu lachen. „Verräter“ rangieren in der Knast-Hierarchie ziemlich weit unten – nur Kinderschänder sind noch unbeliebter. Vielleicht weigert sich Wurm deshalb so beharrlich, seinen Komplizen bei dem Überfall am 11. April auf die Commerzbank an der Steglitzer Schloßstraße zu verraten. Anschließend entführte Wurm einen Bus mit acht Passagieren, darunter eine Polizistin. Nach einem mehrstündigen Drama schoss ein Beamter eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) Wurm zwei Mal in die Schulter. „Haftkrankenhaus Moabit“, steht als Absender auf Wurms Bekenntnissen.

Eine Tätowierung am Unterarm brachte Wurm den Spitznamen „Skorpion“ ein. Auch für das Geiseldrama in Gladbeck hatte der Bankräuber den Schuldigen ausgemacht: „Emanuelle und Silke mussten sterben, weil der Staat auf Teufel komm raus ein Ritual durchziehen musste“, schrieb er 1988 an die „taz“. Wer will, kann Wurms Weisheiten studieren: Bis heute betreibt der 46-Jährige eine eigene Homepage, auf der er seine Knast-Prosa verbreitet ( www.knast.net/gitterzeit/wurm.htm ). Nach seiner Entlassung 2000 war er auch des Öfteren im Fernsehen zu hören: Beim Telefon-Night-Talk „Pawell“ (Spreekanal) plauderte Wurm über den Irak-Krieg und die Vereinigten Staaten. In der Redaktion wurde er offenbar für solche Sätze geliebt: „Amerika ist außenpolitisch zwar mörderisch – aber irgendwie demokratisch.“

Während sich Wurm im Haftkrankenhaus von seinen Verletzungen erholt, wird derzeit auch gegen den Schützen bei der Polizei ermittelt – wegen gefährlicher Körperverletzung. Eine reine Formsache, winkt Martin Textor, der Leiter der Spezialeinheiten, ab. Die Schüsse, zu denen Textor den Befehl gab, seien gedeckt durch das „Gesetz zur Anwendung unmittelbaren Zwangs“ (UZwG) und das Strafgesetzbuch (StGB). Der Beamte habe aus Nothilfe gehandelt, als er auf Wurm schoss, um das Leben der letzten beiden Geiseln im Bus zu retten.

Zu diesem Zeitpunkt kursierte in der Stadt schon das Gerücht: Wurm hat wieder zugeschlagen. Die Polizei kennt den Mann bereits aus Hausbesetzer-Zeiten, als Wurm zur linksradikalen Szene gehörte. Das erste Mal ging er wegen eines Sprengstoff-Delikts ins Gefängnis, danach immer wieder. Nachdem der inzwischen leicht ergraute Wurm im August 2000 als Freigänger eine ABM-Stelle bei der S-Bahn angetreten hatte, machte er sich hier einen Ruf als „leuchtendes Beispiel gelungener Resozialisierung“. Deshalb beschloss das Gericht, die Strafe auszusetzen. Wurm kam auf Bewährung frei; es ging nicht lange gut. „Ein Bewährungshelfer mit 150 Probanden kann keine große Hilfe bieten“, schreibt Wurm.

Während seiner kriminellen Karriere hat Wurm offenbar einiges über die Taktiken der Polizei gelernt. Als der von ihm gekaperte Bus in einen Stau geriet, vermutete er sofort: „Das ist bestimmt ein künstlicher Stau, den die Polizei verursacht hat.“ Mehrfach verlangte er, die Fahnder sollten ihre „Präzisionsschützen zurückziehen“. Bei den Vernehmungen soll Wurm einen ruhigen, abgebrühten Eindruck machen. Dutzende Zeugen haben im April zwei Männer in der Commerzbank beobachtet, aber Wurm bleibt bei seiner Antwort: „Wieso ein Zweiter? Ich war allein.“ Auch im Brief schweigt sich Wurm über seinen Komplizen aus, dafür wünscht er sich für eine erfolgreiche Resozialisierung: „Dass man sich um Straftäter kümmert, ihnen Vertrauen entgegenbringt und sie behandelt anstatt sie nur wegzuschließen.“ Vielleicht sollte man Wurm besser fortbilden, zum Thema: Armut.

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